Dr. Winfried Kösters: „Fachkräftemangel? Aber heftig!“

Interview mit Dr. Winfried Kösters

Dr. Winfried Kösters

Dr. Winfried Kösters

Das IAB hat Anfang 2011 Berechnungen veröffentlicht, wonach bis 2020 sechs bis sechseinhalb Millionen Fachkräfte fehlen können. Andere, allen voran das DIW, bezweifeln diese Prognosen, ja, dass es überhaupt einen Fachkräftemangel gibt? Wer hat recht?
Dr. Winfried Kösters: Recht hat der, der sich an Fakten hält und sie differenziert bewertet. Folgt man den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, so umfasst das Erwerbspersonenpotenzial 2010 exakt 44,6 Millionen Menschen. Diese Zahl wird sich bis 2025 auf 38,1 Millionen minimieren. Daran lässt sich nicht großartig rütteln, da Menschen, die vor 20 Jahren nicht geboren worden sind, auch heute nicht eine Ausbildung antreten können. Selbst wenn nun diese Gruppe der Erwerbsfähigen um die Menschen von 65 bis 67 Jahren erweitert werden würden, bedarf es der Anstrengung, die Arbeitsplätze für Menschen in diesem Alter entsprechend anzubieten und zu gestalten. Diese Kompetenz ist nicht vorhanden, da die Unternehmen systematisch Menschen über 60 „freigesetzt“ haben. Selbst wenn es gelänge, die Reserven „Frauen“, „Migranten“, „Jugendliche ohne Schulabschluss“, „Junge Erwachsene ohne Berufsabschluss“ sowie „Menschen mit Behinderungen/Beeinträchtigungen“ optimal zu schöpfen (und das verlangt sehr große Anstrengungen aller gesellschaftlichen Akteure), wird diese Lücke schwerlich zu schließen sein. Auch ein Technologie- bzw. Rationalisierungsgewinn und eine weitere (gesteuerte!) Zuwanderungen werden benötigt. Schon heute werden zum Beispiel im Bereich Pflege und Gesundheit Menschen gesucht. Und die frei werdenden Fachkräfte im Kohlebergbau oder Werftanlagenbau umzuschulen, bedarf ebenfalls großer Anstrengungen vieler Anbieter im Bildungsbereich. Sicher wird es auch Branchen geben, die sich weniger Sorgen um einen Fachkräftemangel machen müssen: Garten- und Landschaftsbau zum Beispiel.

Sagen Sie das auch noch, wenn sich die Konjunktur weiter abschwächen sollte?
Dr. Winfried Kösters: Die Tatsache, dass der Anteil der Menschen über 60 Jahre in den nächsten 20 Jahren um 40 Prozent ansteigen wird und der Anteil der Gruppe unter 20 Jahren um 20 Prozent sinken wird, hat nichts mit Konjunktur zu tun. Eine älter werdende Gesellschaft braucht konjunkturunabhängig bestimmte Produkte und Dienstleistungen. Die Frage wird sein, wie wir sie bezahlen – und gegebenenfalls auch die Arbeit für diese Menschen bezahlen. Insofern muss endlich die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme Rente, Gesundheit und Pflege aufgrund der demographischen Entwicklung in den Mittelpunkt gestellt werden. Denn deren Leistungen sind von der Konjunktur abhängig. Was bleibt vom Lohn übrig? Und was wird von den Jüngeren akzeptiert? Gut ausgebildete Fachkräfte werden weltweit gesucht, die müssen nicht in Deutschland bleiben.

In Boomregionen wie Frankfurt Rhein-Main gibt es immer noch einen starken Zuzug gut ausgebildeter junger Leute. Müssen sie trotzdem den demografischen Wandel ernst nehmen?
Dr. Winfried Kösters: Ja, denn der Wettbewerb um Menschen, insbesondere um Fachkräfte wird noch zunehmen. Wenn zum Beispiel der Verband der Spediteure überlegt, die Löhne zu verdoppeln, um den Beruf des LKW-Fahrers attraktiv zu halten, dann ist das nur eine Vorahnung auf das, was kommen kann. Geld allein wird aber nicht bestimmend sein, sondern auch die Attraktivität einer Region, die Vereinbarkeit von Familie (Pflege) und Beruf sowie andere individuelle lebenslagenorientierte Fragen, so zum Beispiel die Gesunderhaltung. Wer hier nicht sensibel den Zeichen der demographischen Wandlungszeit Augenmerk schenkt, und glaubt, die Zukunft sei die Verlängerung der Vergangenheit, der irrt. Auch hier gilt der Satz: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.


Dr. Winfried Kösters ist freier Publizist, Wissensmanager und Unternehmensberater.

Dr. Winfried Kösters übernimmt beim Kongress die Tagesmoderation und beteiligt sich an der Podiumsdiskussion zum Thema „Integration und Willkommenskultur – haben wir Nachholbedarf?“.