Prof. Dr. Jutta Rump: „Mitwirken von Politik und Gesetzgeber“

Interview mit Prof. Dr. Jutta Rump

Jutta Rum

Prof. Dr. Jutta Rump

In der Studie »Die Zukunft der Arbeitswelt – Auf dem Weg ins Jahr 2030«, an der Sie wesentlich beteiligt waren, steht, dass der demografische Wandel kein unabwendbares Schicksal, sondern eine Chance sei. Inwiefern?
JUTTA RUMP: Die Studie hat gezeigt, dass es durchaus erhebliche Potenziale gibt, die gehoben werden können. So lässt sich sogar eine annähernde Stabilisierung der Zahl der Erwerbspersonen bis zum Jahr 2030 erreichen, wenn entsprechende Maßnahmen in Bezug auf die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren, Personen mit Migrationshintergrund und qualifizierten Zuwanderern sowie auf die Erhöhung des Arbeitsvolumens, vor allem von teilzeitbeschäftigten Frauen, ergriffen werden.

Nichtsdestotrotz – welche Herausforderungen sehen Sie als die größten an?
JUTTA RUMP: Die zentrale Herausforderung besteht darin, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass eben diese Potenziale gehoben werden können. Dafür ist eine Vielzahl von Weichenstellungen im steuerlichen und infrastrukturellen Bereich, aber auch im Hinblick auf das Bildungswesen, Arbeitsrecht und die sozialen Sicherungssysteme nötig. Ebenso muss die Unternehmens- und Personalpolitik sich darauf einstellen.

Wie sehen die Lösungen für diese größten Herausforderungen Ihrer Meinung nach aus?
JUTTA RUMP: Wichtig ist ein ineinandergreifendes und abgestimmtes Mitwirken von Politik und Gesetzgeber auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen, der Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsparteien sowie der Betriebe und Beschäftigten. Nur wenn hier „ein Rädchen ins andere greift“, kann sich rechtzeitig etwas bewegen, um den Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte entsprechend begegnen zu können.

Welche Maßnahmen sind konkret dringend nötig? Wenn Sie priorisieren müssten, nennen Sie doch bitte die fünf wichtigsten.
JUTTA RUMP: Die folgenden fünf Maßnahmenbündel sind gleichermaßen wichtig, so dass es schwer fällt, sie zu priorisieren.

  • Durch eine Verminderung der Risikogruppen im Bildungssystem und einen verbesserten Übergang zwischen Schule und Beruf auch diejenigen Jugendlichen für den Arbeitsmarkt gewinnen, die bislang nur wenige Perspektiven hatten.
  • Rahmenbedingungen schaffen, die eine Ausweitung der Erwerbsbeteiligung und des Arbeitsvolumens auch für Menschen mit Fürsorgepflichten ermöglichen, also vor allem Eltern und Pflegende. Dazu gehören Themen wie der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur und der familienunterstützenden Dienstleistungen, aber auch entsprechende steuerliche Regelungen.
  • Im Dialog der Sozialpartner Arbeitszeitregelungen entwickeln und umsetzen, die über unterschiedliche Lebensphasen hinweg ein gesundes, motiviertes und qualifiziertes Arbeiten auch über eine verlängerte Lebensarbeitszeit ermöglichen.
  • Personalplanung und Personaleinsatz zunehmend talent- und stärkenorientiert ausgestalten und mit einer individualisierten Personalpolitik den immer vielfältiger werdenden Belegschaften in Bezug auf Alter, Geschlecht, kulturellen Hintergrund, Lebensphasen etc. gerecht werden.
  • Zusätzliche Möglichkeiten zum starren System der Rente mit 67 und einem vorgezogenen Rentenzugang mit Abschlägen entwickeln, verbunden mit Hilfen und Unterstützung für die Sozialpartner zumindest für eine Übergangszeit.

Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung? Was sollte sie tun, um die richtigen Impulse beim Thema demografischer Wandel zu setzen?
JUTTA RUMP: Die Antwort fällt sehr kurz aus: Die Demografieagenda und Demografiestrategie, die 2012 und 2013 auf den Weg gebracht wurde, weiterführen und KONSEQUENT umzusetzen.

Gibt es Länder, die Deutschland Vorbild sein könnten? Welche? Warum?
JUTTA RUMP: Wenn es darum geht, ältere Beschäftigte intensiver in das Erwerbsleben einzubinden, fehlen in Deutschland Erfahrungswerte, da es in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch ältere Arbeitnehmer in den Betrieben gab. Länder, in denen dies nicht der Fall ist, können hier wertvolle Impulse für erfolgreiche Modelle liefern. In Kanada, Schweden und Dänemark beispielsweise gibt es schon seit einiger Zeit offene Grenzen nach oben für den Renteneintritt. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass Deutschland weltweit eine führende Rolle in der Demografie-Strategie und im Demografiemanagement einnimmt. Nicht selten sind es Regierungen und Unternehmen anderer Länder, die hier Lösungsansätze suchen.

Wir wissen, dass insbesondere strukturschwächere Regionen schon jetzt und in Zukunft noch viel deutlicher den demografischen Wandel spüren als Metropolregionen. Was müssen dort, in Kommunen, Gemeinden, erste Schritte sein, um den demografischen Wandel anzupacken?
JUTTA RUMP: Es bedarf einer Politik zur Standortattraktivität. Dies beinhaltet die Handlungsfelder Bürger, Wirtschaft, Infrastruktur und Finanzplanung. Aus der Perspektive der Bürger wird die Attraktivität eines Standortes beeinflusst durch Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Pflegeinfrastruktur, Bildungslandschaft, Integration von Bürgern mit Migrationshintergrund, Kultur- und Freizeitangebote für alle Altersgruppen, Gesundheitsinfrastruktur und Wellnessangebote, Förderung von bürgerschaftlichen Engagement sowie Wohnungssituation und Anbindung zu Verkehrsmöglichkeiten. Für Unternehmen zeigt sich die Attraktivität eines Standortes in einem überschaubaren bürokratischen Rahmen (Entbürokratisierung, Genehmigungsverfahren, Öffnungszeiten…), Ansprechpartner für die Belange der Wirtschaft und Informationsnetzwerke für Unternehmen. Auch Infrastruktur spielt eine Rolle. Zu nennen sind der Ausbau der Breitbandtechnologie, Siedlungsentwicklung, Verkehrsanbindungen etc. Nicht zuletzt darf die Finanzplanung nicht vernachlässigt werden. Wenn sich Einnahme- und Ausgabeströme aufgrund der demografischen Entwicklung verändern, sollten wir uns heute bereits damit beschäftigen.
Ich glaube, dass man hier differenziert vorgehen muss und nicht pauschal sagen kann, welche Wege Kommunen und Gemeinden einschlagen sollten. So kann beispielsweise in einer bestimmten Kommune der Mangel an qualifizierten Auszubildenden der Aspekt sein, der heute schon am meisten belastet. Dann wäre dort der richtige Ansatzpunkt, junge Leute für Ausbildungsberufe zu begeistern. In einer anderen Kommune geht es evtl. eher darum, mehr Frauen durch entsprechende Kampagnen und Angebote in Beschäftigung zu bringen, wenn dort ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Frauen nach der Geburt eines Kindes für mehrere Jahre aus dem Berufsleben aussteigt. Wieder andere Regionen kämpfen vielleicht vor allem darum, Arbeitnehmer in der Region zu halten, die vermehrt in andere Regionen abwandern. Man sollte also sehr genau hinschauen und analysieren, wo die Herausforderungen liegen und dann die Ressourcen darauf konzentrieren, die dringendsten Probleme zielgerichtet anzugehen.

Wie beurteilen Sie die Situation FrankfurtRheinMain – sowohl die der Stadt/Städte als auch die der Kommunen?
JUTTA RUMP: Im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland steht die Metropolregion FrankfurtRheinMain im demografischen Wandel sicherlich noch vergleichsweise positiv da. Die Bevölkerung, auch im erwerbstätigen Alter, wird sich nicht so dramatisch reduzieren wie anderswo, an Attraktivität als Zuwanderungsregion mangelt es ebenfalls nicht. Dennoch gilt es, diese Attraktivität auch auf Dauer aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen, sowohl in Bezug auf Arbeits- als auch auf Lebensqualität, und Rahmenbedingungen für eine hohe Erwerbsbeteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen zu schaffen.

Was hoffen Sie mir Ihrem Auftritt beim 4. Frankfurter Demografiekongress bewirken zu können?
JUTTA RUMP: Ich hoffe, die Teilnehmenden einmal mehr von der Dringlichkeit des Handelns überzeugen zu können, ihnen aber gleichzeitig auch schon sehr konkrete Hilfestellungen in die Richtung zu geben, dass wir durchaus etwas bewegen können, wenn wir an den richtigen Stellschrauben drehen und dies auch zeitnah tun.

Warum sollten Menschen daran teilnehmen?
JUTTA RUMP: Der Kongress gibt sehr praktische Hinweise, wie die Unternehmen „demografiefest“ werden können und bietet darüber hinaus eine ideale Plattform zum Austausch und zur Vernetzung. Gerade in den unterschiedlichen Foren können praktische Erfahrungen angesprochen und diskutiert werden.

Prof. Dr. Jutta Rump hält auf dem Demografiekongress 2014 die Keynote zum Thema „Die Zukunft der Arbeitswelt“. Sie ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule Ludwigshafen. Prof. Dr. Rump ist Mitglied der Kommission „Zukunft der Arbeitswelt“ der Robert-Bosch-Stiftung. Darüber hinaus ist sie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE), welches sich mit Zukunftstrends und deren Konsequenzen in Bezug auf Unternehmens- und Personalpolitik beschäftigt.