Bernd Ehinger: „Eine europäische Angelegenheit“

Interview mit Bernd Ehinger

Bernd Ehinger

Bernd Ehinger

Das neue Ausbildungsjahr steht vor der Tür: Ein Pilotprojekt der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main und des hessischen Wirtschaftsministeriums bringt hessische Betriebe schon bald mit 45 spanischen Lehrlingen zusammen. Herr Ehinger, geht es um die Zuwanderung von Fachkräften, ist Ihre Handwerkskammer momentan in aller Munde. Wie kam es zu der Entscheidung jungen Spaniern in Deutschland Karriereperspektiven zu eröffnen?
BERND EHINGER: Bei dieser Entscheidung spielten mehrere Faktoren eine Rolle: Zum einen wissen wir um die dramatisch hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien. Und während in Madrid viele Menschen vergeblich einen Arbeitsplatz suchen, werden in Hessen dringend Fachkräfte gebraucht. Im Handwerk fehlen in einzelnen Branchen auch zunehmend Auszubildende. Allein im Rhein-Main-Gebiet sind im letzten Jahr 600 Lehrstellen unbesetzt geblieben. Der Fachkräftemangel ist im Handwerk angekommen und wir müssen etwas tun. Die spanischen Azubis wurden durch eine Anzeige gefunden. 90 junge Leute haben sich beworben, 50 wurden nach Deutschland eingeladen. Während eines Schnupperpraktikums bei mehreren Betrieben erfuhren sie, was auf sie zukommt, inzwischen haben 45 von ihnen einen Ausbildungsvertrag unterschrieben.

Auf der anderen Seite hören wir auch von Jugendarbeitslosigkeit hierzulande. Von Jugendlichen ohne Schulabschluss, auch die Zahl der Studienabbrecher steigt. Müssten diese jungen Menschen nicht zuerst einen solchen Ausbildungsplatz erhalten?
BERND EHINGER: Zunächst: Junge Menschen in Deutschland für das Handwerk zu begeistern, ist für uns eine kontinuierliche Arbeit, die wir beispielsweise mit unserer Nachwuchskampagne angehen und auch in Zukunft nicht vernachlässigen werden.
Die Sorge, dass durch dieses Pilotprojekt hessischen Schulabgängern eine Chance genommen wird, halten wir für unbegründet. Schließlich sind an dem Projekt nur 20 Betriebe beteiligt. Außerdem gibt es Branchen, beispielsweise die Pflege oder das Handwerk, in denen – trotz großer Bemühungen – geeignete Fachkräfte fehlen. Diese Lücken können wir nur schließen, wenn wir alle Chancen wahrnehmen.

Das deutsche Modell „duale Ausbildung“ ist bereits heute ein Exportschlager. Kurbelt das Pilotprojekt diesen Erfolg noch weiter an?
BERND EHINGER: Auch wir möchten das deutsche Erfolgsmodell der dualen Ausbildung international bewerben. Unser Ausbildungsmodell hat das Potential auch anderen Ländern zu wirtschaftlichem Erfolg zu verhelfen. Gut ausgebildete Mitarbeiter sind die Basis für jedes Unternehmen. Die Themen Aus- und Weiterbildung sind für uns eine europäische Angelegenheit: Europa lebt von der Zusammenarbeit – nur so können wir etwas erreichen.

Wie wird das Projekt finanziert?
BERND EHINGER: Das Projekt wird vom Wirtschaftsministerium mit 240.000 Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert.

In welchen Berufen arbeiten die spanischen Jugendlichen in Zukunft? Wo wohnen die Jugendlichen? Wer ist für die Lehre verantwortlich?
BERND EHINGER: Es werden Ausbildungen zum Sanitär-Heizung-Klima-Techniker, Dachdecker oder Elektroniker angeboten. Derzeit sind die Jugendlichen noch in Madrid und lernen fleißig Deutsch. Sobald sie im August in Frankfurt eintreffen, werden sie zunächst in den beiden Berufsbildungszentren der Kammer, in Frankfurt und Weiterstadt wohnen. Ein weiterer Deutschkurs macht die Jugendlichen fit für die Berufsschule.
Wie bei jedem anderen Lehrling auch, sind die Betriebe hauptverantwortlich für die Ausbildung. Zusätzlich gibt es drei Ansprechpersonen in der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main, die für die Belange der Jugendlichen zuständig sind. Wir arbeiten derzeit auch noch weiter daran, den Jugendlichen einen Einstieg in Deutschland so einfach wie möglich zu machen.

Welche Karrierechancen haben die Jugendlichen über den Gesellenbrief hinaus?
BERND EHINGER: Eine bestandene Gesellenprüfung eröffnet die Weiterbildungschance auf handwerkliches Spitzenniveau. Nach dem Europäischen Qualifikationsrahmen und dem Deutschen Qualifikationsrahmen ist der Meistertitel dem Bachelor gleichgestellt. Doch auch ohne Meisterabschluss stehen diesen jungen Menschen nach erfolgreicher Ausbildung solide Karriereperspektiven offen.

Aktuell eröffneten Sie gemeinsam mit Wirtschaftsminister Florian Rentsch das erste Welcome-Center in einer Frankfurter Arbeitsagentur. Bauen Sie auch auf andere ausländische Fachkräfte für die Region Frankfurt-Rhein-Main?
BERND EHINGER: In erster Linie setzt das Welcome-Center ein positives Signal und soll zeigen, dass Frankfurt offen für internationale Fachkräfte ist. Wir möchten unsere Willkommenskultur noch stärker nach außen transportieren. Das Welcome-Center ist eine zentrale Anlaufstelle bei Fragen rund um das Leben in Frankfurt und soll so einen Einstieg in das Leben in Deutschland erleichtern – für alle.

Das Portal „Arbeiten und lernen in Europa“ ist die erste Anlaufstelle für Azubis, Fachkräfte und Betriebe. Zum Portal: http://www.arbeiten-und-lernen-in-europa.de