Jürgen Engelhardt: „Widerspruch! Prof. Mielke ist im Unrecht.“

Jürgen Engelhardt ist Vizepräsident der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V. Durch das Marketing zum 7. Demografiekongress wurde er auf das Interview mit Prof. Mielke aufmerksam – und vertritt hier seine ganz eigene Meinung zum Zukunftsbild unserer Gesellschaft. Ein „Leserbrief“.

Wie denken Sie denn persönlich, wie der Arbeitsplatz der Zukunft aussehen wird?
Prof. Mielke: Ganz ehrlich: Für die Generation der heute 30-40-Jährigen wird BGM (betriebliches Gesundheitsmanagement) irgendwann kein Thema mehr sein. Dann werden 80 bis 90 Prozent unserer Arbeit von Robotern erledigt. Da geht es dann nicht mehr um Gesundheit am Arbeitsplatz für die letzten Leute, die noch da sind. Sondern um die Frage, wer überhaupt noch Arbeit hat und welche gesellschaftlichen Folgen das haben wird.

Engelhardt: Widerspruch! Dies hat eine ganze Menge mit dem Thema „Gesundheit“ zu tun! Wenn wir es zulassen, dass 80 – 90 Prozent unserer Arbeit wegrationalisiert werden, verursacht dies enorme gesundheitliche Schäden. Der Mensch ist nicht für den „Müßiggang“ geschaffen. Wenn die pure Rationalisierung als Gewinn angesehen wird, ist dies zu kurz gesprungen. Wir vergessen uns – wieder – einmal. Ein unzufriedener – und damit ungesunder – Mensch wird nicht der Arbeitswelt 4.0 zum Erfolg verhelfen. Der Hype der Effizienzmaßnahmen Ende der 90ziger Jahre und Anfang der 2000der Jahre hat nicht nur zu  positiven Auswirkungen auf den Menschen geführt, unter denen wir heute „leiden“. Wir – somit auch die Mitglieder des Campus 4.0 – haben die Aufgabe der Zukunft ein menschliches  Angesicht zu geben. Sich ergeben der Digitalisierung hinzugeben ist sträflich. Welche  Gestaltungsmöglichkeiten wir haben, haben wir zum Beispiel innerhalb der Werkstattgespräche: „Verantwortung, Solidarität, Vertrauen – Zentrale Werte und die digitale Transformation der Arbeitswelt“ bei der Akademie für Politik und Zeitgeschehen in der Hanns Seidel Stiftung erarbeitet.

Zum Beispiel welche?
Prof. Mielke: Nehmen wir die Diskussion ums bedingungslose Grundeinkommen: Wenn Roboter für die Volkswirtschaft sorgen, können sich die Menschen anderen Dingen zuwenden. Dafür müssen die politischen Rahmenbedingungen gegeben sein. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine solche Rahmenbedingung. Das zieht dann weitere Entwicklungen nach sich, wie etwa eine Anpassung von Mietpreisen nach unten.

Engelhardt: Die Auswirkungen des heutigen Arbeitslosengeldes zeigen, wohin ein bedingungsloses Grundeinkommen führt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist – wenn wir alle Schönfärberei bei Seite lassen – nichts anderes als ein Arbeitslosengeld.

Auf unserem letzten Kongress zum Thema Digitalisierung gingen die Experten zwar von einschneidenden Veränderungen aus, aber Sie prognostizieren ja geradezu eine Massenarbeitslosigkeit. Warum sind Sie davon überzeugt?
Prof. Mielke: Ich sehe es ja in meiner täglichen Arbeit und bin selbst Teil dieser Entwicklung. Aktuell erforschen wir mit der RWTH Aachen autonome Fahrsysteme für den Güterverkehr. Dabei entscheidet das Paket selbst, ob es jetzt z.B. nach Wolfsburg zugestellt werden will oder ob die momentane Auslastung des Lieferwagens so ausfällt, dass es wirtschaftlicher ist, erst nach Hannover zu fahren. Und wenn es mehrere Lieferungen in verschiedene Richtungen gibt, sollen sich die Güterwagen von selbst zusammen- und wieder auseinanderkuppeln. Das machen bislang alles Fachkräfte und Disponenten. Die braucht es in ein paar Jahren nicht mehr. Und die Zeit rast!
Ein anderes Beispiel: Mittlerweile hat Google einen Algorithmus programmiert, der sich nur noch selbst entschlüsseln kann – kein Mensch hat darauf Zugriff. Ein anderer Algorithmus hat es fertig gebracht, GO und Poker zu knacken. Das hätte keiner gedacht, dass das so schnell geht. Schließlich reden wir hier auch vom Hacken der Emotionen. Und so ist es: Alles kann gehackt werden. Und das geht schneller als wir denken. Deswegen braucht es ein neues Zukunftsbild unserer Gesellschaft.

Engelhardt: Dies ist ein zu einfacher Schluss! Wir müssen uns um dieses Zukunftsbild kümmern. Dies kann nicht sein: Eine Gesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist! Wir vergessen wieder einmal, dass die Welt sich nicht nur um uns in der 1. Welt dreht! Die Kontinente sind nicht alle gleich reich. Wir müssen uns um den Lastenausgleich kümmern. In der Vergangenheit sind wir ungefragt nach Afrika und Asien gekommen und haben uns dort bedient, heute kommen die Menschen ebenfalls ungefragt von dort zu uns und fordern einen „Ausgleich“ dafür, was wir ihnen früher weggenommen haben. Dieses Ungleichgewicht wird auch im 4.0-Zeitalter bestehen bleiben bzw. noch verstärkt werden. Ergo: Die Arbeit geht uns nicht aus!