Prof. Michael Mielke: „Von Arbeit 4.0 zu Gesellschaft 4.0“

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Prof. Mielke (re), Karl-Heinz Schulz (li, Mandelkern) und in der Mitte Lego Mindstorms, mit dem Mikrofilme archiviert werden, um sie im zweiten Schritt zu digitalisieren.

Prof. Michael Mielke leitet das Arbeitsgebiet Kompetenzzentrum Unternehmenssteuerung & Informationsmanagement der Deutschen Bahn AG. Mit dem Campus 4.0 hat er ein bereits 2009 entwickeltes Raum- und Methodenkonzept in Frankfurt am Main umgesetzt: Hier wird Arbeit 4.0 nicht nur sichtbar, sondern täglich praktisch angewendet.

Lieber Prof. Mielke, was ist der Campus 4.0?
Der Campus 4.0 ist Teil der Beratung von DB Training. Wir sind ein Profitcenter der Deutschen Bahn. Das heißt, wir fungieren als klassische interne Unternehmensberatung. Weil wir aber so viel Spaß am Tüfteln und Lösen kniffliger Fragen haben, bieten wir unsere Leistungen auch anderen Unternehmen an. Eon und Lufthansa beispielsweise, oder auch Lidl und Merck. Zu unseren Aufgaben gehören neben der klassischen Beratung auch Trainings, damit das neue Wissen in der Praxis funktioniert, sowie Softwarelösungen. Zusammen mit der RWTH Aachen arbeiten wir beispielsweise zusammen in der Smart Logistics. Für DB Regio haben wir eine Sitzplatzreservierung programmiert. In einem anderen Projekt automatisieren wir u.a. mit Lego Mindstorms Mikrofilmarchvierungen mittelalterlicher Handschriften. Etwas ganz anderes also!

Das klingt nach einem Kessel Buntes! Wenn wir beim Campusbild bleiben, könnte man Sie denn auch in Fachbereiche einteilen?
Auch Vielfalt muss strukturiert werden – wir bearbeiten rund 800 Projekte jährlich – und ja, dafür haben wir unterschiedliche Arbeitsgebiete. Unsere 90 Berater plus Datenexperten arbeiten in den vier Bereichen: Unternehmenssteuerung & Informationsmanagement – das ist vor allem mein Beritt, Business Excellence – hier geht es um Management Systeme, aber auch unternehmensrelevante Fragen zu Themen wie Umwelt- oder Arbeitsschutz, Prozessmanagement – Stichwort wäre hier etwa Lean sowie in der Organisationsentwicklung und psychologische Dienstleistungen.

Und hier kommt Ihr Auftritt beim diesjährigen Demografiekongress ins Spiel?
Genau! Arbeit 4.0 ist ja keine rein technische Frage, sondern besonders eine der Organisationsentwicklung. Wir wollen mittels unserer Kreativformate – wir haben uns Design Thinking ausgesucht – den Arbeitsplatz von morgen entwerfen. Die Frage ist: „Was wünschen Sie sich, damit die Menschen gesund bleiben?“ Und dann entwerfen wir gemeinsam Ideen, was dafür zu tun ist.

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Die „Hausregeln“ des Campus 4.0

Wie denken Sie denn persönlich, wie der Arbeitsplatz der Zukunft aussehen wird?
Ganz ehrlich: Für die Generation der heute 30-40-Jährigen wird BGM (betriebliches Gesundheitsmanagement) irgendwann kein Thema mehr sein. Dann werden 80 bis 90 Prozent unserer Arbeit von Robotern erledigt. Da geht es dann nicht mehr um Gesundheit am Arbeitsplatz für die letzten Leute, die noch da sind. Sondern um die Frage, wer überhaupt noch Arbeit hat und welche gesellschaftlichen Folgen das haben wird.

Zum Beispiel welche?
Nehmen wir die Diskussion ums bedingungslose Grundeinkommen: Wenn Roboter für die Volkswirtschaft sorgen, können sich die Menschen anderen Dingen zuwenden. Dafür müssen die politischen Rahmenbedingungen gegeben sein. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine solche Rahmenbedingung. Das zieht dann weitere Entwicklungen nach sich, wie etwa eine Anpassung von Mietpreisen nach unten.

Auf unserem letzten Kongress zum Thema Digitalisierung gingen die Experten zwar von einschneidenden Veränderungen aus, aber Sie prognostizieren ja geradezu eine Massenarbeitslosigkeit. Warum sind Sie davon überzeugt?
Ich sehe es ja in meiner täglichen Arbeit und bin selbst Teil dieser Entwicklung. Aktuell erforschen wir mit der RWTH Aachen autonome Fahrsysteme für den Güterverkehr. Dabei entscheidet das Paket selbst, ob es jetzt z.B. nach Wolfsburg zugestellt werden will oder ob die momentane Auslastung des Lieferwagens so ausfällt, dass es wirtschaftlicher ist, erst nach Hannover zu fahren. Und wenn es mehrere Lieferungen in verschiedene Richtungen gibt, sollen sich die Güterwagen von selbst zusammen- und wieder auseinanderkuppeln. Das machen bislang alles Fachkräfte und Disponenten. Die braucht es in ein paar Jahren nicht mehr. Und die Zeit rast!
Ein anderes Beispiel: Mittlerweile hat Google einen Algorithmus programmiert, der sich nur noch selbst entschlüsseln kann – kein Mensch hat darauf Zugriff. Ein anderer Algorithmus hat es fertig gebracht, GO und Poker zu knacken. Das hätte keiner gedacht, dass das so schnell geht. Schließlich reden wir hier auch vom Hacken der Emotionen. Und so ist es: Alles kann gehackt werden. Und das geht schneller als wir denken. Deswegen braucht es ein neues Zukunftsbild unserer Gesellschaft.

Lieber Herr Prof. Mielke, vielen Dank für das Gespräch!