ING wird die erste agile Bank Deutschlands

Corinna Vogt

Mit Smart Movers in eine digitalisierte Zukunft: ING wird die erste agile Bank Deutschlands


Interview mit Corinna Vogt, Head of Talent, Learning & Recruiting

Die ING (vormals ING Diba) wird die erste agile Bank Deutschlands und damit Vorbild für viele weitere, die folgen. Auf dem 9. Kongress des Demografienetzwerkes FrankfurtRheinMain „Denkraum Zukunft – Fachkräfte für morgen“ am 4. April in der IHK Frankfurt wird Dr. Sebastian Harrer, Head of HR, im Tandem Talk berichten, welchen Weg die ING in eine digitalisierte Zukunft nimmt und wie es ihr so gelingt, Fachkräfte zu finden und zu halten. Corinna Vogt wird in einem der vier Denkräume präsent sein. Wir haben uns im Vorfeld schon einmal mit ihr über eine Arbeitswelt im Wandel ausgetauscht.

Mandelkern: Ranga Yogeshwar, der auf dem Kongress die Keynote sprechen wird, sagt “„Da draußen formiert sich etwas, das wir komplett unterschätzen“ und meint damit die rasanten Veränderungen, die in einer digitalisierten Arbeitswelt auf uns alle zukommen. Sehen Sie das auch so?

Corinna Vogt: Zu den rasanten Veränderungen: Klares Ja. Dass wir sie komplett unterschätzen: eher nicht, jedenfalls nicht bei uns. Die Digitalisierung ist bei uns seit Jahren im Gange, zum Beispiel in der Baufinanzierung. Aber so gut wie alle Prozesse und Abläufe werden noch stärker digitalisiert, getrieben u.a. von Robotics. Auch der Austausch mit den Kunden wird digitaler, weil sie immer mehr über ihre mobilen Endgeräte mit uns kommunizieren. Beides, die Entwicklungen innen und außen zusammengenommen, führt dazu, dass auch klassische Bank-Jobs genauso wie zum Beispiel unsere Aufgaben im Personal einen deutlich höheren digitalen Anteil in ihrem Anforderungs-Profil bekommen.

Mandelkern: Womit wir beim Stichwort Agilität wären. Die ING legt ein beeindruckendes Tempo vor: Innerhalb von nur 18 Monaten sollen alle Organisationseinheiten der ING in Deutschland agil arbeiten. Die ING wäre damit die erste Bank in Deutschland, die die gesamte Organisationsform konsequent auf agiles Arbeiten ausrichtet. Ist da ein Zusammenhang?

Corinna Vogt: Durchaus. Die digitale Welt hat viel mit Geschwindigkeit, Qualität und Innovation zu tun. Agil macht schneller durch mehr Zusammenarbeit unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Mehr Zusammenarbeit produziert aber auch mehr Ideen, also Innovation. Und es verbessert den Umgang mit Komplexität, weil es eine bessere Fokussierung erlaubt. Das liegt auch daran, dass Methoden wie Kanban und Scrum mehr Transparenz schaffen. Wir schneiden ja ein komplexes Vorhaben in viele dünne Scheiben, sprich, ziehen viel häufiger Zwischenbilanz: Wie ist das Feedback der Kunden? Geht unser Kalkül auf? So können wir Fehlentwicklungen deutlich schneller stoppen, meistens nach ein paar Wochen, nicht erst nach Monaten oder Jahren wie in der Wasserfallkaskade des klassischen Projektmanagements. Das stirbt bei uns aus.

Mandelkern: Wie wird der Umbruch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angenommen?

Corinna Vogt: Also, wir haben die 18 Monate des Umbaus in drei Phasen zerlegt und sind gerade in der Mitte der zweiten. Und wir sehen den vollen Mix an Reaktionen. Viele sind begeistert, lassen sich ganz auf die neue Welt ein, machen sich fit, bewerben sich auf neue Positionen in der Bank. Viele warten ab und denken wahrscheinlich: Wir haben hier schon viel erlebt, mal schauen, was diesmal rauskommt. Ein kleiner Teil sagt klar: Das ist nicht mehr meine Welt und zieht die Konsequenzen.

Mandelkern: Frau Vogt, Stichwort Fachkräftemangel: Bei Ihnen noch ein Thema?

Corinna Vogt: Leider ja. Und zwar richtig. So machen wir das, was alle tun, sprich, wir investieren viel in Employer Branding, und wir bespielen alle nur möglichen Kanäle. Aber das reicht nicht. Vor allem nicht bei Positionen in der IT. So haben wir begonnen, nach neuen Wegen zu suchen.

Mandelkern: Wurden Sie fündig?

Corinna Vogt: Das wurden wir. Am Anfang stand eine Idee. Die Idee von den versteckten Talenten im eigenen Unternehmen. Eigentlich war es eine Hypothese. Jeder von uns kennt doch den Typus der IT-affinen Kollegin bzw. des Kollegen. Die immer gerne hilft, wenn man grade ein Computer-Problem hat. Der schon Papas Videorekorder auseinandergeschraubt hat. Die Mathe- oder Physikleistungskurs hatte. Der ein Maschinenbaustudium angefangen, aber wieder abgebrochen hatte, weil es ihm zu theoretisch war. Die ihrem Verein Websites oder Apps programmieren. Die Hypothese war: Die muss es doch auch bei uns geben, und dieses Potenzial müsste doch zu heben sein.

Mandelkern: Und die Hypothese hat sich bewahrheitet?

Corinna Vogt: Das hat sie. Wir haben einen Piloten aufgesetzt und 12 Stellen in der IT ausgeschrieben für Anwendungsentwickler z.B., für Java-Developer, aber auch für ganz neue Berufsbilder wie System-Owner. Gefordert waren mehrere Jahre Berufserfahrung und ein Hang zur IT, wie gerade beschrieben. Das Echo hat uns selbst überrascht. Die Zahl der Bewerbungen waren um ein Vielfaches höher als bei internen Ausschreibungen üblich.

Mandelkern: Haben Sie eine Erklärung für diese starke Resonanz?

Corinna Vogt: Nun erst einmal, dass wir mit unserer Intuition richtig lagen, was die versteckten IT-Talente in der Bank angeht. Aber wir haben auch viel Aufwand betrieben, sie zu finden. Wir haben ein richtiges Programm entwickelt, das wir „Smart Movers“ nennen, und damit eine interne Kommunikationskampagne gestartet.

Mandelkern: Smart Movers klingt gut. Was ist das Programm dahinter?

Corinna Vogt: Erst einmal der Ansatz. Wir haben das klassische Vorgehen bei Weiterbildung und Qualifizierung genau umgedreht. Klassisch finanziert man ja eine Maßnahme und weiß dann nie, wie es weiter geht. Führt es zu einer internen Bewerbung auf eine neue Position oder wie wird es sonst genutzt? Hier haben wir erst mal Zielpositionen definiert, und zwar solche, von denen auch die IT-Kollegen fanden, dass eine interne Besetzung eine gute Sache sein könnte, weil Bank-Know-how und die Kenntnis unseres ING-Innenlebens sehr hilfreich sind. Und dann haben wir die Qualifizierungsmaßnahmen genau auf die Positionen zugeschnitten.

Mandelkern: Nämlich?

Corinna Vogt: Nun, das Programm startet jetzt im April und zwar so, dass die Kolleginnen und Kollegen gleich in die neue Aufgabe reinwandern. Sprich, sie bekommen einen Mentor an die Seite und werden im Fachbereich eingesetzt. Parallel bekommen sie von einem externen Bildungsanbieter ein maßgeschneidertes Qualifizierungsprogramm. Die ganze Einarbeitung wird ein Jahr laufen.

Mandelkern: Smart Movers ist damit wohl eine ganz neue Strategie der internen Fachkräftegewinnung. Was denken Sie, wie Ihre Bilanz nach dem Jahr aussehen wird?

Corinna Vogt: Das ist natürlich schwer zu sagen. Es ist ja ein völlig neuer Ansatz – und ein Pilotversuch. Aber wir sind optimistisch. Die IT-Kollegen waren von den ausgewählten Bewerbern und ihrem Profil sehr angetan. Wir alle waren sehr beeindruckt davon, was die privat schon in ihre Weiterbildung investiert haben. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass die wirklich wollen. Und das ist entscheidend.

Mandelkern: Danke für das Gespräch.