Dr. C. Seitz/S. Lambert: „Beruf und Pflege vereinen“

Dr. Cornelia Seitz

Sonja Lambert

Dr. Cornelia Seitz

Dr. Cornelia Seitz

Interview mit Dr. Cornelia Seitz und Sonja Lambert

Frau Seitz, wozu dient die Pflege-Charta?
DR. C. SEITZ: Pflege ist eines unseren zentralen gesellschaftlichen Themen und mehr als 76 % aller Pflegebedürftigen werden zu Hause durch Angehörige gepflegt und nahezu die Hälfte der Pflegenden bleibt im gleichen Umfang wie zuvor erwerbstätig. D.h. sie müssen den Verpflichtungen gegenüber dem Familienmitglied und dem Arbeitgeber gerecht werden. Im Beruf die volle Leistung zu bringen und gleichzeitig einen Angehörigen zu pflegen, kostet viel Kraft. Auf Dauer entsteht so eine erhebliche Belastung nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für ihre Arbeitgeber. Um hier Unterstützung und Entlastung zu bieten, haben das Hessische Ministerium für Soziales und Integration, die AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen, die berufundfamilie gGmbH – Eine Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V. die hessische Initiative „Beruf und Pflege vereinbaren“ ins Leben gerufen.
Die Charta, ist ein wichtiger Baustein der Initiative, sie ist einmalig im Bundesgebiet und wurde im November von B. Braun Melsungen, Commerzbank, Fraport, dem Pharmaunternehmen Merz, Rinn Beton- und Naturstein, der AOK Hessen und der Taunus Sparkasse gemeinsam mit den Sozialpartner, dem Hessischen
Ministerium für Soziales und Integration und der berufundfamilie gGmbH unterzeichnet. Mit der Unterzeichnung signalisieren die Unternehmen ihren Beschäftigen, dass sie sie, bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege unterstützen wollen. Das Thema Pflege wird somit im Unternehmen präsenter und fördert einen offeneren Umgang. Um Pflege und Beruf miteinander zu vereinbaren, bedarf es passgenauer Einzelfalllösungen, da jede Pflegesituation anders ist.

Warum wurde eine Pflege-Charta notwendig?
DR. C. SEITZ: Pflege ist immer noch ein Tabuthema, von dem wir wegkommen kommen müssen. Die Charta ist ein deutliches Zeichen, Beschäftigte, die Verantwortung für ihre pflegebedürftigen Angehörigen übernehmen, zu würdigen und zu unterstützen und gleichzeitig soll mit der Charta das vorhandene Engagement der Unternehmen sichtbar werden und weitere Arbeitgeber ermutigen, sich aktiv mit der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auseinanderzusetzen.

Frau Lambert, warum hat die AOK- Die Gesundheitskasse in Hessen die „hessische Initiative Beruf und Pflege vereinbaren“ mit initiiert?
S. LAMBERT: Als AOK Hessen beschäftigen wir uns sowohl in unserer Rolle als Kranken- und Pflegeversicherung mit der Fragestellung der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen, aber ebenso im Rahmen unseres Personalmanagements, also als Arbeitgeber.
Damit kommen wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung nach, unterstützen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und profitieren als Unternehmen durch die positiven Effekte einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Dies ist eine klassische „Win-win-Situation“.
Das Thema „Vereinbarkeit Beruf, Familie und Privatleben stellt bereits seit dem Jahr 2002 ein wichtiges Handlungsfeld unseres Diversity Management dar. Der Aspekt „ Beruf und Pflege“ hat dabei zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Was tun sie konkret als Arbeitgeber für ihre Beschäftigten?
S. LAMBERT: Unsere umfangreichen Angebote der flexiblen Arbeitsorganisation unterstützen dabei, individuelle Lösungen für die konkrete Pflegesituation zu finden. Als Arbeitgeber bieten wir unseren Beschäftigten durch eine interne Servicestelle den „Service Beruf und Pflege“. Im Angebot sind vier Leistungsbausteine: Informationen rund um das Thema Pflege, individuelle Beratung, Hilfe bei der Vermittlung ambulanter Pflege und der Suche nach Pflegeplätzen sowie ein Kompetenztraining für pflegende Angehörige. Das Pflegetraining wird in Kooperation mit anderen Arbeitgebern realisiert. Zusätzlich steht unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine anonyme 24-Stunden Telefonhotline für Krisensituationen zur Verfügung.

Was empfehlen Sie anderen Arbeitgebern?
S. LAMBERT: Zunächst empfehle ich jedem Arbeitgeber, unabhängig von der Unternehmensgröße, sich um das Thema „Vereinbarkeit Beruf und Pflege“ aktiv zu kümmern. Die Lösungen werden für jedes Unternehmen vermutlich unterschiedlich gestaltet sein. Viele Anregungen dazu findet man in der Broschüre Beruf und Pflege vereinbaren – Lösungsansätze und Praxisbeispiele aus Hessen, die vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration und der berufundfamilie gGmbH – eine Initiative der gemeinnützigen Hertie Stiftung erstellt wurde (www.berufundpflege.hessen.de).
Aber wichtig ist es vor allem, eine Organisationskultur zu befördern, die von Respekt und Wertschätzung für die Übernahme der Verantwortung für pflegebedürftige Angehörige geprägt ist. Dazu ist die Pflege- Charta ein wichtiges Instrument. Damit setzen Sie ein deutliches Signal im Unternehmen nicht nur für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch für die Führungskräfte.

Frau Seitz, was können die Teilnehmer des Kongresses an Ihrem Stand erfahren?
DR. C. SEITZ: Die Besucher erfahren, wie sie sich bei der Charta beteiligen können, wie sie ihre Beschäftigten unterstützen, welche Schritte sie im Unternehmen gehen können, welche Unternehmen mit welchen Maßnahmen gute Erfahrungen gemacht haben und insbesondere, welche kostenfreien Angebote im Rahmen der Hessischen Initiative zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ihnen bis Ende 2014 zur Verfügung stehen.

Sonja Lambert, Stabstellenleiterin Diversity Management, AOK-Die Gesundheitskasse in Hessen
Dr. Cornelia Seitz, Leiterin der Forschungsstelle beim Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e.V..