Susanna Caliendo: „FrankfurtRheinMain darf sich nicht auf Erreichtem ausruhen“

Caliendo_BildWelche Bedeutung messen Sie jetzt und zukünftig der qualifizierten Zuwanderung zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in Deutschland bei?

CALIENDO: Eine sehr große, angesichts einer im Durchschnitt älter werdenden Bevölkerung und durch vergleichsweise niedrige Geburtenraten kann der Fachkräftebedarf nicht nur durch eine verbesserte Ausbildung junger Menschen in FrankfurtRheinMain erreicht werden. Daher brauchen wir eine qualifizierte Zuwanderung. Allerdings erkenne ich derzeit noch keine integrierte Strategie von Wirtschaft, Verwaltung und Politik in der Metropolregion. Doch damit wir die passenden Fachkräfte zielgerichtet und langfristig aus dem Ausland gewinnen können, benötigen wir eine solche Strategie und eine Anwerbekampagne.

Sie sehen es als besonders wichtig an, eine Willkommenskultur in der Region zu schaffen. Gibt es diese nicht schon?
CALIENDO: Wenn die Metropolregion Fach- und Führungskräfte sowie Studenten aus dem Ausland anwerben und langfristig an die Region binden möchte, muss eine neue, moderne Willkommenskultur in der Region etabliert werden, die die Neuankömmlinge in der Region angemessen begrüßt und diesen verschiedene Begleitangebote zentral anbietet. Hier ist noch einiges nachzuholen, gerade im Bereich „Verwaltung“, was beispielsweise die Ausstattung von Ausländerbehörden und Arbeitsagenturen betrifft. Aber auch gesellschaftlich muss noch daran gearbeitet werden, dass vermeintlich Fremdes als Bereicherung betrachtet wird, insbesondere was die neuen europäischen Mitgliedsstaaten und anderen Kontinente betrifft. Obwohl es in FrankfurtRheinMain sehr viele Angebote und Initiativen für Neuankömmlinge gibt, fehlen ein Überblick und eine Bündelung, mit der die Angebote für die Zielgruppe zentral verfügbar gemacht werden.

In Sachen Internationalität lebt die Metropolregion FrankfurtRheinMain in vielerlei Hinsicht von ihrem Image und ihrem guten Ruf. Da dürfte es doch gar nicht so schwer sein, Fachkräfte aus dem Ausland anzulocken, oder?
CALIENDO: FrankfurtRheinMain ist in der Tat attraktiv und ein internationaler Knotenpunkt. Aber man konkurriert auch mit Regionen wie Amsterdam und London, Regionen, in denen beispielsweise Englisch im Beruf, im täglichen Leben, aber auch in Universitäten und Schulen zum Alltag gehören. Dies ist in FrankfurtRheinMain noch lange nicht erreicht, denn „Internationalität“ ist nicht gleichzusetzen mit „Nationalitätenvielfalt“. Auch andere Konkurrenten in Deutschland schlafen nicht und stellen sich in Sachen „Internationalität und Willkommenskultur“ strategisch auf. FrankfurtRheinMain hängt sich selbst ab, wenn es sich auf dem Erreichten ausruht.

Sie sagen, die großen Unternehmen benötigen keine oder wenig Unterstützung von Region und Kammern beim Anwerben von Fachkräften. Warum ist es für die KMU so viel schwieriger und warum ist es so wichtig, dass man speziell ihnen hilft?
CALIENDO: KMU haben häufig nicht die gleichen Ressourcen zur Personalakquirierung wie Großunternehmen. Große Unternehmen haben meist eigene und größere Personalabteilungen, die auf Jobmessen europaweit vertreten sind und Fachkräfte direkt ansprechen können. Auch haben Großunternehmen mehr Ressourcen, um die ausländischen Fachkräfte bei der Entscheidung zu einem Umzug nach Deutschland, beim Umzug selbst und beim Einleben in ihrer neuen Wahlheimat zu unterstützen.
Zudem sind größere Unternehmen im Ausland häufig bekannter. Ausländische Fachkräfte werden so leichter auf große Unternehmen aufmerksam und bewerben sich direkt dort. KMU sind nicht in allen Branchen international tätig. Sie haben so einen Wettbewerbsnachteil und können freie Stellen schwieriger besetzen.
Der Qualifizierungsmonitor des Bundeswirtschaftsministeriums 2012 hat ergeben, dass zwei Drittel der kleinen Unternehmen von mittleren bis großen Schwierigkeiten bei der Suche nach Menschen mit einer Berufsausbildung berichteten. Bei großen Unternehmen waren dies nur ein Drittel der befragten Unternehmen. Auch die Rekrutierung von Frauen und Männern mit Fortbildungs- oder Hochschulabschluss bereiteten vielen KMU mehr Probleme als großen Unternehmen. Diesen Trend bestätigt die Beschäftigungsprognose 2013/2014 des IWAK auch für FrankfurtRheinMain.

Was dürfen Teilnehmende des Forums „Europa“, das Sie beim Demografiekongress moderieren, erwarten? Wer sollte das Forum unbedingt besuchen?
CALIENDO: Im Forum Europa werden zunächst der Status quo und Prognosen für die Region durchleuchtet, um anschließend Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren.
So wird nach einem Impulsvortrag zu Daten und Fakten Vertretern von KMU, Kammern, Behörden und nicht zuletzt auch betroffenen ausländischen Fachkräften in zwei moderierten Talkrunden die Möglichkeit gegeben, von ihren Erfahrungen zu berichten. Dabei werden folgende Themen und Fragestellungen erörtert:

Talk 1: „Wer hat Angst vor dem Fachkräftemangel? – Wie sieht er aus? – Wie stellen wir uns
dem Fachkräftemangel? – Was kann die Region leisten?“

Talk 2: „Willkommen in FrankfurtRheinMain – ist die Region so international und offen wie ihr
Ruf?“

Susanna Caliendo moderiert auf dem Demografiekongress 2014 das Forum Europa. Auch das Forum Europa 2013 stand bereits unter ihrer Moderation. Sie ist Leiterin des Europabüros der Metropolregion FrankfurtRheinMain. Neben der Leitung des Europabüros ist sie für die strategische Europaarbeit sowie die Europaprojekte des Regionalverbandes verantwortlich, dabei greift sie auf umfangreiche Erfahrungen in der Umsetzung europäischer Förderprojekte zurück. Sie vertritt den Verband ferner in zahlreichen nationalen sowie internationalen Europanetzwerken.