Rainer Hetzer: „ARBEITSFORMEN 4.0”

Hetzer_Rainer_ContiRainer Hetzer ist Leiter Human Relations der Division Chassis & Safety im Continental Konzern. Diese Position übt er seit 2007 aus, davor war er Leiter des Bereichs Human Relations der Continental Division Automotive Systems.

Lieber Herr Hetzer, der Automatisierungsgrad bei Continental liegt bereits bei über 90 Prozent. Inwieweit sind die aktuellen Diskussionen um Industrie 4.0 und Digitalisierung für Sie überhaupt ein Thema?
HETZER: Neu ist Digitalisierung für uns nicht, denn in der elektronischen Komponentenfertigung ist vieles digitalisiert. Reine Mechanik finden sie dort kaum noch. Continental ist aus dem Reifen- und Gummibereich gewachsen und hat das Portfolio dann um mechanische und elektronische Automotive-Komponenten und -systeme in den Bereichen Fahrwerk, Bremse, Antriebsstrang und Interiorelektronik erweitert. Bereits heute erwirtschaften wir rund 60 Prozent unseres Umsatzes im Automotive-Bereich mit digitalisierten Produkten.
Die Entwicklung geht sowohl in der Produktion als auch im Fahrzeug immer stärker in Richtung IT-basierter Vernetzung und Steuerung.
Neu hingegen ist auch für uns die stark zunehmende Geschwindigkeit und Komplexität als Folge der voranschreitenden Digitalisierung. Mit diesen Themen setzen wir uns intensiv auseinander.

Und was tun Sie, um dieser wachsenden Geschwindigkeit und Komplexität zu begegnen?
HETZER: Mit der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit der Arbeit geht bei einigen Mitarbeitern auch eine Verunsicherung einher. Die Menschen stellen sich die Frage, schaffe ich das, kann ich mit dieser Geschwindigkeit mithalten. Auch deshalb müssen wir künftig stärker die Lernfähigkeit und -bereitschaft fördern. Beides ist gerade im Rahmen der Digitalisierung absolut essenziell – sowohl für die Mitarbeiter als auch das Unternehmen.
Wir müssen unsere Mitarbeiter dabei unterstützen, den Entwicklungen zu folgen und sie dabei auch aktiv begleiten. Um die erwähnten Unsicherheiten zu nehmen, haben wir Pilotprojekte initiiert. Wir wollen zum Beispiel das Coaching-Prinzip umdrehen: Junge Auszubildende, die sog. Digital Natives, sollen Mentoren und Coaches für ältere Mitarbeiter werden, die ja ihrerseits traditionell ihre Berufserfahrungen weiter geben. So profitieren beide Altersgruppen davon. Vernetztes Denken und Handeln soll aber auch Teil unserer Unternehmens-DNA sein.

Um die für Sie passenden Fachkräfte zu finden, haben Sie kurzerhand einen eigenen Ausbildungsgang aus der Taufe gehoben. Was bedeutet das?
HETZER: Wir haben einen bestehenden Ausbildungsgang – den Mathematisch-technsichen Assistenten – an die Erfordernisse unserer Geschäftsbereiche angepasst und den „Automotive Softwareentwickler“ (MATSE) ins Leben gerufen. Die Auszubildenden erhalten – zusätzlich zum bestehenden Ausbildungscurriculum – spezielle Schulungen im Bereich Software und Elektronik. Damit legt dieser Ausbildungsberuf einen stärkeren Schwerpunkt auf diese, für unsere Organisation besonders relevanten Inhalte. 27 junge Menschen haben letzten Herbst an zehn Continental-Standorten ihre Ausbildung zum „Automotive Softwareentwickler“ begonnen. Insgesamt machen fast 2.100 junge Menschen bei Continental eine Ausbildung oder ein Duales Studium. Wir verstehen uns dabei als der Wegbereiter junger Menschen in eine berufliche Zukunft.

Continental ist groß, Sie können all das leisten. Für viele KMU ist Industrie 4.0 aber nicht so leicht beherrschbar. Wo sehen Sie auch Politik und Gesellschaft in der Pflicht?
HETZER: Wir sehen in Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet ein großes Potential an qualifizierten Fachkräften. Wir wissen aber auch, dass wir gerade hier in einem Wettbewerb mit zahlreichen anderen Unternehmen um die besten Köpfe stehen.
Der Bedarf an Fachkräften im IT- und Software-Bereich wird in Zukunft noch weiter steigen. Deshalb müssen bereits in der Schule die Grundfertigkeiten vermittelt werden – hier sehen wir die Gesellschaft in der Pflicht. Gleichzeitig unterstützen wir auch als Unternehmen Schulen in der Vermittlung von technischen Grundfertigkeiten und stellen ihnen in unserem Programm Kitec Technikbaukästen zur Verfügung. Damit haben Kinder die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln. Und neben Rechnen, Schreiben und Lesen sind heute auch digitale Fähigkeiten eine Grundfertigkeit, die es zu erlernen gilt. Neben allen fachlichen Fähigkeiten bleiben aber vor allem soziale Kompetenz und Teamfähigkeit weiterhin die wichtigsten Eigenschaften, die ein junger Mensch entwickeln sollte.

Grundsätzlich sehen wir die Digitalisierung und Industrie 4.0 als Chance, den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter zu stärken. In der Automobilindustrie rechnen wir mit einer um sechs bis neun Prozent erhöhten Produktivität und circa sechs Prozent mehr Arbeitsplätzen bis 2025, zurückzuführen auf Industrie 4.0. Auch für kleinere und mittlere Unternehmen bietet die Digitalisierung große Chancen. Studien zeigen, dass in vielen mittelständischen Unternehmen die Digitalisierung bereits als Wachstumschance erkannt wurde, es in der Breite aber noch nicht gelingt, einen Wettbewerbsvorteil daraus zu ziehen. Entscheidend ist die Entwicklung einer digitalen Strategie, die das Geschäftsmodell und die Stärken eines Unternehmens digital abbildet.

Lieber Herr Hetzer, vielen Dank für das Gespräch!