Nachbericht

9. Kongress des Demografienetzwerkes FrankfurtRheinMain „Denkraum Zukunft. Fachkräfte für morgen.“

 

Er hoffe, dass die Besucher des 9. Kongresses des Demografienetzwerkes FrankfurtRheinMain die Veranstaltung mit einem Rucksack voller Inspirationen, Ideen und Gedanken verlassen werden, so die einleitenden Worte des Moderators Frank Weber (weber.advisory) bei seiner Begrüßung.

Mehrere hundert Menschen waren in die IHK Frankfurt am Main gekommen, um auf dem Kongress mit dem Titel „Denkraum Zukunft. Fachkräfte für morgen“ zu erfahren, wie sich die Brücke schlagen lässt zwischen den Themen Digitalisierung der Arbeitswelt und dem sich verschärfenden Fachkräftemangel. Denn Fakt sei, so Weber, dass mit der gewaltigen technischen Revolution eine soziale Transformation einhergehe. Hier die richtigen Weichen zu stellen, sei entscheidend für die Fachkräftesicherung der Unternehmen, aber auch für die Menschen allgemein und die Zukunft Deutschlands.

Prof. Dr. Mathias Müller, Präsident der IHK Frankfurt am Main, forderte in seiner Begrüßung das Publikum auf, weniger Angst vor dem Wandel zu haben und nicht von Untergangszenarien des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu sprechen. „Deutschland ging es nie besser als heute. Wir haben einen hohen Beschäftigungsstand und nach wie vor einen Spitzenplatz in der Weltwirtschaft“, sagte er und begründete den Erfolg damit, dass deutsche Unternehmen vor allem durch ihre Fachkräfte Innovationstreiber seien und mit ihren Produkten die Märkte pass- und zeitgenau bedienten. Wichtig für die Marktführerschaft seien also vor allem die Mitarbeiter/innen, die kompetent, erfahren und loyal sind. „Unter diesen Voraussetzungen braucht es uns nicht bang vor der Zukunft und vor dem nächsten Entwicklungssprung zu sein, der durch Treiber wie etwa die Künstliche Intelligenz erfolgt“, ermutigte Müller.

Zugleich erinnerte der IHK Präsident daran, dass es bestimmter Rahmenbedingungen bedürfe, vor allem seitens der Politik, um Nutzen aus dem technischen Fortschritt und dem digitalen Wandel ziehen zu können. Als Beispiel nannte er die die Bildung, die es Mitarbeitern/innen ermögliche, mitzukommen bei der rasanten Entwicklung. „Lebenslanges Lernen gewinnt immer mehr an Bedeutung, weil nicht die Berufe verschwinden, sondern weil sich die Tätigkeiten ändern.“

Zuletzt forderte Prof. Müller die Politik auf, das Investitionsvolumen für die Künstliche Intelligenz zu erhöhen. Die geplanten drei Milliarden Euro bis 2025 bezeichnete er als „Treppenwitz der Geschichte“. „Wenn wir das Tempo mit Ländern wie China mithalten wollen, muss die Bundesregierung deutlich mehr Geld dafür ausgeben“, so Prof. Müllers eindringliche Bitte.

 

„Kein Flatrateticket für die Zukunft“

 

Einen ähnlichen Ton schlug auch der Keynote-Speaker des diesjährigen Kongresses, Ranga Yogeshwar, in seinem Vortrag an und ermutigte alle, keine Angst vor dem Wandel zu haben. Schließlich sei die Menschheit selbst nur durch Wandel überhaupt möglich. „Die Dinosaurier sind tot … und haben Platz für uns gemacht“.

Im Folgenden führte er den Kongressteilnehmern vor Augen, wie spürbar der Wandel bereits jetzt sei: Die immense Power von Computern, die Geschwindigkeit von Daten und die Konnektivität von Menschen in aller Welt durch Smartphones sorge für extrem schnelle Veränderungen in allen Lebensbereichen. So sparten Apps und andere Services Zeit und erleichterten den Alltag – wie etwa die Dienste eines weltweiten Anbieters von Personenbeförderungen, Übersetzungs-Apps oder eine amerikanische Supermarktkette ohne Registrierkassen und mit bargeldlosem Bezahlen.

Aber auch in der medizinischen Diagnostik könne Künstliche Intelligenz helfen, Krankheiten oder Krankheitsdispositionen frühzeitig zu erkennen und Chancen der Prävention oder Heilung deutlich zu steigern.

 

Sozial-ethische Verantwortung

 

Dabei machte Ranga Yogeshwar aber auch deutlich, wie schmal der Grat zwischen den Vorteilen und Risiken sei: „Wollen wir, dass digitale Sprachassistenten wie Alexa, Siri oder Cortana, hinter denen die mächtigen Firmen Amazon, Apple und Microsoft stehen, in Zukunft erkennen können, ob wir krank sind oder werden? Wollen wir, dass Krankenkassen die Ergebnisse digitaler Apps nutzen, um daraus unser Krankheitsrisiko abzuleiten?“ Auch Fake-News, manipulativ verbreitete, vorgetäuschte Nachrichten, seien ein negatives Produkt Künstlicher Intelligenz. Sie könnten ganze Wahlergebnisse beeinflussen und Gesellschaften destabilisieren. „Aufklärung ist dringend notwendig, sonst verlieren wir unsere Mündigkeit“, mahnte Yogeshwar.

Ein wichtiger Schritt im Sinne des aufklärerischen Gedankens sei, Künstliche Intelligenz zu verstehen und sich dieses Verständnis der Fähigkeit maschineller Lernsysteme zunutze zu machen, so Ranga Yogeshwar weiter. „Es geht darum zu entscheiden, welche Innovationen nützlich und welche sinnlos oder sogar schädlich sind. Damit einher muss eine Debatte um Moral und Ethik gehen.“ Insbesondere Deutschland und Europa wies der Wissenschaftler beim Umgang mit dem digitalen Wandel eine tragende, aufklärende Rolle zu, um zu erkennen, was nütze und was schade.

Um das Heft des Handelns nicht an Asien oder die USA abzugeben, brauche es vor allem Menschen, die den Wandel gestalten. „Die Ingenieure der Zukunft kommen aus China und Indien“, warnte Yogeshwar. Viel zu wenig werde bis dato unternommen, um die jungen Leute hierzulande für technische Berufe zu begeistern, um mehr Fachkräfte auszubilden, die ohnehin schon überall fehlten. So richtete Yogeshwar, wie auch IHK Präsident Prof. Müller, abschließend eindringliche Worte an die Bundesregierung, sie möge deutlich mehr als bisher beabsichtigt in KI investieren: „Wir sind toll, aber wir haben nicht das Flatrateticket für die Zukunft gekauft.“

 

Politik trifft Wirtschaft. Forschung trifft Praxis.

 

„Wo braucht es den Schulterschluss zwischen Politik und Wirtschaft?“ wollte Frank Weber anschließend von den Diskutanten im ersten Tandem Talk „Politik trifft Wirtschaft“ wissen.

Dr. Julia Borggräfe, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), betonte, dass die Zusammenarbeit zum Beispiel in Sachen Weiterbildung unabdingbar sei. Einerseits, um Menschen im verantwortungsbewussten Umgang mit KI zu schulen, andererseits, um weiterhin durch Fachkräfte die Wirtschaftsmacht zu bleiben, die man in der Welt bisher darstelle. Der Schulterschluss müsse aber auch mit Europa und anderen Nationen gemacht werden. „Alleine kriegen wir das Thema nicht gelöst“, so die Vertreterin des BMAS.

Dr. Sebastian Harrer, Head of HR bei der ING Deutschland (vormals ING DiBa), unterstrich, dass KI menschenzentriert sein müsse und dass es dafür das nötige Personal brauche. „Wir sind alle auf der Suche nach denselben Leuten, nach ‚Techis‘.“ Insofern müssten die Unternehmen in die Begeisterung der jungen Leute investieren und ihnen ein attraktives Arbeitsumfeld bieten. Nur durch entsprechende Fachkräfte könne es gelingen, innovativ und schnell neue digitale Produkte rauszubringen. Hier seien manche Regularien in Deutschland aber hinderlich.

Auch Jan Balcke, Airbus Commercial, forderte die Politik auf, Arbeitszeitgesetze anzupassen und zu deregulieren. Agile Arbeitsweisen und strenge Regularien passten nicht zusammen. Wunsch der beiden Wirtschaftsvertreter Dr. Harrer und Balcke war es, dass die politischen Entscheider sich einen genaueren Überblick über die Bedürfnisse der Firmen, die sich aus dem digitalen Wandel ergeben, verschafften und entsprechend handeln sollten.

Dr. Julia Borggräfe räumte ein, dass eine engere Verzahnung zwischen Politik und Praxis nötig sei und man den Spagat zwischen Flexibilisierung der Gesetzgebung und Schutzrechten der Arbeitnehmer schaffen müsse.

„Wie macht man die deutsche Wirtschaft fit für die Zukunft?“ fragte Frank Weber abschließend.

Die Unternehmensvertreter waren sich in ihrer Antwort einig, dass – neben einer flexibleren Politik – die Impulse für Veränderung auch aus den Unternehmen kommen müssten. „Wir haben ja selbst den Druck, denn wir müssen uns überlegen, womit wir künftig noch Geld verdienen und wo wir genug Mitarbeiter finden, die uns mit Ideen und Produktivität unterstützen“, antwortete Jan Balcke. Und Dr. Harrer stellte den Teilnehmern des Kongress das Programm SmartMover der ING vor: Hier werden Stellen intern ausgeschrieben und bieten Mitarbeitern/innen, die interessiert daran sind, gleichzeitig auch die dazu passende Weiterbildung an. „Wir sprechen damit den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin an, die das Informatikstudium abgebrochen hat, aber nie aufhörte, sich für das Thema zu interessieren. Die können wir dann fit machen, für die neuen Anforderungen der ING.“ Aber auch extern suche man neue Wege der Rekrutierung. „Bisher berücksichtigen wir noch viel zu wenig die Zugewanderten. Wir müssen umdenken, denn auch vor dem Hintergrund weltweiter Fluchtbewegungen muss Integration gelingen“, so die Überzeugung von Dr. Harrer.

 

Disziplin- und betriebsübergreifende Zusammenarbeit

 

Im zweiten Tandem-Talk „Forschung trifft Praxis“ traf Prof. Dr. Martina Klärle, neue Vizepräsidentin der Frankfurt University of Applied Sciences, auf Alfred Ermer, CEO der arago da Vinci GmbH.

„Liegen wir wirklich so weit hinten, was Digitalisierung, KI und Robotik anbelangt?“, wollte Moderator Frank Weber zum Auftakt wissen.

„Die Welt dreht sich schneller denn je. Wir sind nicht abgehängt, aber wir müssen uns Sorgen machen“, lautete das nüchterne Statement von Prof. Klärle, die zugleich feststellte, dass man gerade in der Robotik, vor allem in Hessen, weit vorne dabei sei. Grundsätzlich bedauere sie, dass Deutschland seine guten Ingenieurleistungen nicht gut genug verkaufe und in der Welt vermarkte.

Für Alfred Ermer steht das Thema qualifizierte Fachkräfte ganz oben im Wettbewerb um die Marktführerschaft. Dabei gehe es nicht darum, ausschließlich auf Technikaffine zu setzen. „Wir brauchen vor allem Leute, die Probleme lösen können, mit gesundem Menschenverstand und breiter Bildung.“

Auch in diesem Denkraum war man sich einig, dass sich Wirtschaft und Wissenschaft enger miteinander verzahnen müsse. „Noch sitzt jeder in seinem Elfenbeinturm. Doch wir müssen uns mit den Kunden zusammentun, eine Co-Innovation schaffen und gemeinsam auch bereit sein, uns stets weiterzubilden“, so Ermer.

Dinge ausprobieren, Fehler zulassen, Mut haben, das Unerforschte zu erforschen – Wirtschaft wie Wissenschaft ermutigten die Kongressteilnehmer, neue Konzepte und Methoden zu wagen, um zu zukunftsweisenden Erkenntnissen und Entdeckungen zu gelangen: „Gehen Sie in eine Sackgasse rein, und schauen Sie nach, ob es am Ende der Straße wirklich nicht mehr weitergeht“, appellierte Prof. Klärle abschließend an das Plenum.

 

Denkräume: Wie beeinflusst die Digitalisierung die Fachkräfteentwicklung?

 

Im letzten Teil der Veranstaltung konnten die Kongressbesucher/innen selbst aktiv werden: In vier moderierten Denkräume gab es die Möglichkeit, folgende Leitfragen miteinander zu diskutieren: Was muss getan werden, um für die digitale Zukunft gut aufgestellt zu sein? Wie beeinflusst die Digitalisierung die Fachkräfteentwicklung in Deutschland, in Hessen und in der Metropolregion Frankfurt Rhein-Main?

In allen Denkräumen war man sich einig, dass der Führungskultur im Unternehmen eine entscheidende Rolle zukomme: Ohne Empathie, soziale Werte und Verantwortung seitens der Führungskräfte könne die Arbeit 4.0 nicht erfolgreich umgesetzt werden.

Auch der Weiterbildung wiesen die Teilnehmer/innen eine entscheidende Schlüsselrolle zu, wenn es um Anschlussfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit geht. Damit alle mit der hohen Geschwindigkeit der Digitalisierung mithalten können, müssten sie, egal ob erfahrene Fachkraft oder Azubi, sich permanent weiterbilden, so der Konsens. Voraussetzung dafür seien die passenden Angebote. Fachlich, personell und finanziell gebe es hier seitens der Unternehmen, der Weiterbildungsanbieter und der Politik noch dringenden Nachholbedarf.

Auch Vielfalt als Antwort auf den Fachkräftebedarf fehlte in den Denkräumen nicht. Für viele Diskutanten war klar, dass Integration und Inklusion dauerhaft bedeutsam blieben, um Personalbedarfe zu decken und Deutschlands Zukunftsfähigkeit zu sichern.

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Ausführliche Nachberichte aus den einzelnen Denkräumen finden Sie hier:

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