Nachbericht – Forum 3: Mensch

„Philosophen verändern die Welt, nicht Techniker“

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Dr. Tobias Kämpf, ISF München

Während die meisten Unternehmen noch gar nicht vollumfänglich in der Digitalisierung angekommen sind, ist das Thema Industrie 4.0 für die Wissenschaft fast schon ein alter Hut. Zumindest wenn man sie rein als Arbeitswelt 4.0 begreift.
„Was ist das neue an der digitale Revolution?“ fragte Dr. Tobias Kämpf vom ISF München. In seinem Impulsvortrag erläuterte der Soziologe den neuen sozialen Handlungsraum, der durch die Digitalisierung entstanden ist. Wir interagieren mit der Technik in mittlerweile allen Lebenssituationen, synchronisieren Prozesse und Daten (und wenn es nur die verschiedenen mobilen Endgeräte sind) und fühlen uns sofort von unserem sozialen Umfeld abgeschnitten, wenn WhatsApp nicht funktioniert. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Gewiss, dass Digitalisierung kein Hype ist – sie ist ein Umbruch. Und dieser Umbruch muss gestaltet werden. Kämpf führt vor Augen, wie herausfordernd dies vor allem für die Unternehmen sein kann, bei denen Industrie 4.0 nicht auf dem ersten Blick zu erkennen ist.

Nehmen wir die Personalpolitik, in der sich 4.0 etwa „nur“ durch Smartphones zeigt, wodurch ein Handlungsdruck viel weniger augenscheinlich wird als in einer Produktionshalle. Für alle gilt, dass gerade in zwischenmenschlichen Bereichen eine neue Form der Sozialbeziehung und Kultur entwickelt werden muss. Unternehmen, die sich aufgrund der Digitalisierung neu erfinden müssen, um im Wettbewerb mitzuhalten, müssen sich auch in Sachen Führung neu erfinden. Weg vom „Fürst im Reich“, hin zu kollaborativen und vernetzten Arbeitswelten. Solche Maßnahmen stehen nie für sich allein. Im Umbruch befinden sich alle unternehmerischen Bereiche, beginnend beim Geschäftsmodell, über agile Arbeitsorganisationen bis zu positiven Visionen über Modelle der Arbeitszeit oder Leistungspolitik, die Kämpf in seinem Vortrag als Handlungsbedarfe vorstellte.

„Wenn Sie bei einer Bank oder einer Versicherung arbeiten, schulen Sie unverzüglich um, werden Sie Altenpfleger!“

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Univ.-Prof. Dr. Manfred Becker, eo ipso personal- und organisationsberatung gmbh.

Wenn Technik und Mensch miteinander verschmelzen, stellt sich die Frage nach Koch und Kellner. In seinem gleichnamigen Impuls ging es für Prof. Dr. Manfred Becker deshalb vor allem um eins: Emanzipation. Wieviel Autonomie wollen wir abgeben? Anhand von Beispielen aus Lebenswelt 4.0, Arbeitswelt 4.0 sowie Arbeitsplatz 4.0 zeigte der Personal- und Unternehmensberater von eo ipso auf, wie vielfältig wir in unserer täglichen Interaktion mit der Digitalisierung verbunden sind und kommt zu dem Schluss: Überall dort, wo wir uns in der realen Lebens-und Arbeitswelt befinden, ist der Mensch Koch und die Systeme Kellner. Befinden wir uns in der virtuellen Interaktion, ist es andersherum. Und da die Arbeitswelt 4.0 eine reale ist, bleibt der Mensch Herr der Lage. Alles gut also? Nicht für alle. Zumindest nicht für Sachbearbeiter, Anlagenbediener, Computertechniker- und programmierer sowie Piloten. Deren Tätigkeiten sind nämlich besonders von der Robotik betroffen. Ebenso die gesamte Handwerksbranche, die grundlegende neue Geschäftsmodelle benötigt. Besser haben es da kreative Menschen sowie Personen, die in ihrem Beruf soziale Kompetenzen benötigen.

Gute deutsche Wertarbeit sowie IT-Pädagogik

In der anschließenden Diskussion ließ Forumsmoderator Kristian Tangermann zwei Unternehmen zu Wort kommen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Hier Strassburger Filter, der Hidden Champion von Filteranlagen für Blutplasma mit 90 Prozent weltweiten Marktanteil – und weitestgehend analogem Fertigungsbetrieb. Dort die Rednet AG, die bereits Kindergärten mit digitaler Infrastruktur ausstattet und über Schule, Ausbildung und Berufsleben eine komplette digitale Lernbiografie implementieren und begleiten kann.
Julia Schnitzler mag mit ihrem Filterunternehmen repräsentativ für einen großen Teil der deutschen Unternehmen stehen. Für sie ist Digitalisierung „im Moment kein Thema“. Ihre Kunden, vornehmlich aus den USA und China, schätzen die deutsche Wertarbeit und die Qualität der Produkte. Wichtig sind ihr deshalb gute Schweißer, nicht die smarten Maschinen. Im Mittelstand zählen andere Werte, deshalb sieht sie die Diskussion recht gelassen. Lediglich im Bereich Kommunikation kommt auch Strassburger Filter nicht um die Digitalisierung herum, zumindest nicht die Vertriebs- und Führungskräfte. Hier ist es schon ein Segen, schnell und unkompliziert zu jeder Uhrzeit mit Kunden in Verbindung bleiben zu können. Hemmschuh ist hier allein noch der Breitbandausbau (siehe Forum 2).

Für Walter Steffens von der Rednet AG ist auch Breitband ein Thema. Aber nicht nur. Als IT-Ausstatter geht es ihm um die Akzeptanz von Technik im Unterricht. Mehr noch: Entscheidend ist die IT-Pädagogik, um die Schüler in ihrer Lebenswirklichkeit abzuholen. Dazu gehört z.B. die Fähigkeit von Lehrern, ihre Schüler individuell zu fördern. Anders als im klassischen Unterricht, in dem die ganze Klasse wartet bis jeder Schüler mit seiner Aufgabe fertig ist, können über Tablets spezifische weiterführende Aufgaben gestellt werden, die das Kind fördern. Mit dem IT-gestützten Lernen macht sich Steffens unter den Eltern nicht nur Freunde: „Es gibt die Angst, dass es mein Kind nicht aufs Gymnasium schafft, weil es in der vierten Klasse schon mit Tablets hantiert hat“.

In der weiteren Diskussion wird deutlich, dass Widerstände wie diese stellvertretend für die Sinnfrage von Digitalisierung stehen. Wir transformieren uns, wissen aber nicht wohin, kennen das Ziel nicht. Diese Frage müssen wir für uns beantworten. Und es sind immer noch die Philosophen gewesen, die die Welt verändert haben, die Technik ist bestenfalls ein Hilfsmittel. Der Mensch bleibt also Mensch.

Michaela Sadewasser, Mandelkern Marketing & Kommunikation

Fotos: IHK Rheinhessen/Uwe Feuerbach

Vortrag: „Mehr als Technik: Die digitale Arbeitswelt der Zukunft gestalten“ Dr. Tobias Kämpf, ISF München
Vortrag: „Mensch 4.0!? – Wer ist Koch und wer ist Kellner in der digitalen Transformation?“ Univ.-Prof. Dr. Manfred Becker, eo ipso personal- und organisationsberatung GmbH Mainz

 

Video-Impressionen
Fotogalerie
Nachbericht Plenum
Nachbericht Forum 1: KMU 4.0
Nachbericht Forum 2: Breitband