Nachbericht Forum 5: Beruf und Familie: Dreiklang der Vereinbarkeit

Führen in Zeiten zunehmender Individualisierung

Individualisierung konkret: Die AOK Hessen hat mehr als 200 Arbeitszeitmodelle, eine Teilzeitquote von 42 Prozent, und 23 Prozent der Beschäftigten mit flexiblen Arbeitsorten. Dies berichtete Sonja Lambert, Leiterin der Stabsstelle Diversity Management. Dieser Trend werde sich noch verstärken, die Anfragen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den nächsten fünf Jahren zunehmen. Deshalb sei es wichtiger denn je, dass Führungskräfte lernten, lösungsorientiert zu handeln, damit alle Potenziale optimal genutzt werden können. Das gelinge dann, wenn man den Zusammenhang zwischen dem Thema Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben und dem Kapazitätenmanagement erkenne und gut behandle.

Oliver Schmitz

Oliver Schmitz

Dazu müssten Führungskräfte in der Lage sein, eine neutrale und wertfreie Haltung gegenüber den Mitarbeitern und ihren persönlichen und beruflichen Anliegen einzunehmen. Wie es nicht geht, zeigte Lambert an einem konkreten Fall: Ein Arbeitnehmer wandte sich an seinen Vorgesetzten mit der Bitte, seine Arbeitszeit reduzieren zu dürfen, um seinen kranken Vater pflegen zu können. Antwort: „Das kann doch Ihre Frau machen.“ Lambert: „Durch das Werten des persönlichen Anliegens des Mitarbeiters sind Konflikte programmiert.“

Damit solche Beispiele die Ausnahme bleiben, investiert die AOK in die Schulung ihrer Führungskräfte. 2017 wurden allen Führungskräften fünf Webinare zu diesem Thema angeboten, 54 Prozent nahmen teil. Die Einwahl zu den Webinaren erfolge auf freiwilliger Basis. Im Rahmen von Führungsrunden wurden weitere 29 Prozent der Führungskräfte geschult. Das starke Interesse und die intensive Mitarbeit belegen nach Ansicht von Lambert die große Bereitschaft der Führungskräfte, sich mit dem Thema Vereinbarkeit zu beschäftigen und ihr Wissen auf den neuesten Stand zu bringen. Dies werde die AOK auch im Jahr 2018 nutzen und das Webinarangebot für Führungskräfte fortsetzen.

Gestützt wird dieses Vorgehen durch den sogenannten Tri-Check – ein Tool-Set bestehend aus Handlungshilfe für Führungskräfte und Checklisten für Führungskräfte, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Team. Der Tri-Check wurde von der berufundfamilie Service GmbH in Kooperation mit der AOK Hessen entwickelt. Die praxisorientierten Dokumente dienen der Vorbereitung von Gesprächen, der Analyse von individuellen Anliegen, der Lösungsfindung und der Reflexion von Lösungsgesprächen und -prozessen, bei denen das gesamte Team nicht aus den Augen gelassen werden darf. Grundlage ist das Konzept des Vereinbarkeits-Trialogs, das Oliver Schmitz, Geschäftsführer der berufundfamilie Service GmbH, erläuterte: „Wir müssen zwischen individuellen und betrieblichen Belangen Brücken bauen.“ Wichtig sei hierbei, zu berücksichtigen, dass es bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht mehr nur um die Rolle der Frau, sondern zum Beispiel auch um die Pflege von Angehörigen gehe und dass sich Generationen und Werte im Laufe der Zeit verändert hätten. Beschäftigte fragen somit verstärkt individuelle Vereinbarkeitslösungen nach.

Sonja Lambert

Sonja Lambert

Die Herausforderungen für Führungskräfte seien hierbei vielschichtig und erforderten vorab Fragestellungen wie: „Was ist gerecht?“ „Wie soll ich das Thema ansprechen?“ „Was ist mit Ausnahmeregelungen?“ oder „Welche Spielregeln gelten?“ Damit sei ein Aushandlungsprozess angelegt, bei dem die individuellen Belange der Mitarbeitenden, die Belange des Betriebs und auch die des gesamten Teams Berücksichtigung finden müssten. In diesem Spannungsdreieck müssten Führungskräfte versuchen, die Prioritäten so zu setzen, dass allen Anliegen Rechnung getragen werde und gleichzeitig die betrieblichen gewahrt würden. Diesen Trialog der Vereinbarkeit konnten die TeilnehmerInnen im Anschluss praktisch erfahren: an drei Stationen, welche jeweils die Perspektive der Führungskraft, der MitarbeiterInnen und des Teams erfahrbar machten. Drei Fragestellungen waren zu bearbeite: Welche Ziele verfolgt der Mitarbeiter/ der Vorgesetzte/ das Team? Was benötigt er oder sie zur Vorbereitung? Und welche konkreten Fragen können entstehen?

Jede TeilnehmerIn hatte die Möglichkeit, die verschiedenen Stationen zu besuchen und somit die verschiedenen Sichtweisen zu hinterfragen und aufeinander abzustimmen. Die zusammengetragenen Inhalte waren sehr umfangreich und die Diskussionen wären sicherlich noch über die Forumsdauer hinaus fortgesetzt worden. Ein Forum mit gewinnbringenden Ergebnissen zum Mitnehmen also: viele praktische Anregungen, neue Sichtweisen und praxisnahe Lösungsvorschläge.