Digitalisierung der Arbeitswelt – Auf den Menschen kommt es an

„Wir schaffen uns alle ab“ vs. „Et hätt noch emmer joot jejange“: Zwischen diesen Polen pendelten die Diskussionen auf dem 6. Kongress des Demografienetzwerkes FrankfurtRheinMain. Während das eine Lager die zunehmende Digitalisierung als Bedrohung empfindet und fürchtet, dass zahlreiche Arbeitsplätze überflüssig werden könnten, sehen andere zunächst einmal die Chancen, beispielsweise durch innovative Arbeitsformen und selbstbestimmtes Arbeiten.

Prof. Dr. Mathias Müller, Präsident der IHK Frankfurt am Main

Prof. Dr. Mathias Müller, Präsident der IHK Frankfurt am Main

Die Entwicklung hin zu einer stärkeren Technologisierung sei nicht aufzuhalten, wichtig sei aber, diese zu gestalten, führte Prof. Dr. Mathias Müller, Präsident der IHK Frankfurt am Main, in den Kongress ein. Er verwies auf eine aktuelle Studie, nach der die Unternehmen weltweit jährlich mehr als 900 Mrd. Dollar bis zum Jahr 2020 in „Industrie 4.0“ investieren müssen. Dies zeige, dass sich die Wettbewerbslandschaft in den kommenden fünf Jahren grundlegend verändern werde und Unternehmen versuchen müssten, mit den Entwicklungen Schritt zu halten.

Während dieser rasanten Entwicklung dürfen die Werte jedoch nicht in Vergessenheit geraten, so Prof. Müller: „Wichtig ist, dass wir den aktuellen Transformationsprozess hin zur digitalen Welt von Anfang an mit den Werten und Erfolgsfaktoren unseres Wirtschaftsmodells unterlegen. Hierbei denke ich vor allem an den zumeist inhabergeführten Mittelstand: Wenn wir dessen Stärken, beispielsweise eine enge Mitarbeiterbindung und die Ausrichtung auf langfristige Unternehmensziele, mit den Chancen der Digitalisierung zusammenbringen, dann können wir den Werten des Mittelstandes in der globalisierten Welt eine noch größere Bedeutung verleihen.“

„Die Roboter kommen!“

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa AG

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa AG

Wie weit die Entwicklung bereits fortgeschritten ist, machte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa AG, deutlich. Er veröffentlichte jüngst eine vielbeachtete Studie unter dem Titel „Die Robotor kommen“, in der er prognostiziert, dass die zunehmende Automatisierung mehr als 18 Mio. Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet. „Eigentlich müsste man sagen: Die Robotor sind bereits da“, sagte Brzeski und verwies darauf, dass einige Industriebereiche bereits jetzt vollvernetzt sind und fast vollständig von Robotern geführt werden. Diese Entwicklung werde weiter voranschreiten, sodass es wahrscheinlich sei, dass Roboter zukünftig verstärkt den Menschen als Arbeitskraft ersetzen oder sich einen Arbeitsplatz mit ihm teilen werden.

Dies führe zu einem „Angriff auf den Mittelstand“, denn das Neue an dieser Welle an Robotern sei, dass auch zahlreiche Berufe bedroht seien, die in der Vergangenheit als „krisenfest“ galten. „Beispielsweise könnte auch der Volkswirt, der jeden Tag einen Artikel zur Entwicklung der Börse verfasst, von vollautomatischen Programmen ersetzt werden“, machte Brzeski eine mögliche zukünftige Entwicklung plastisch deutlich. Zwar würden sich durch Veränderungen immer wieder neue Chancen ergeben, aber es sei unrealistisch zu glauben, dass Arbeitskräfte, die durch Roboter freigesetzt werden, einfach in anderen Bereichen eingesetzt werden können.

Dr. Josephine Hofmann, Fraunhofer-Institut

Dr. Josephine Hofmann, Fraunhofer-Institut

Die Chancen nutzen!

Im Gegensatz zu diesen eher düsteren Aussichten betonte Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut die sich aus der Digitalisierung ergebenden Chancen: „Die Auswirkungen auf die Mitarbeiter sind vielfach positiv – man denke nur an die Möglichkeiten zum orts- und zeitunabhängigen Arbeiten.“ Durch die technischen Möglichkeiten bestehe die Möglichkeit, Arbeit in noch stärkerem Maße menschengerecht zu gestalten – kreativ, anregend und sozial.

Dazu müsse die Gesellschaft jedoch klären, wie das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Roboter aussehen soll: Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Arbeit zukünftig? Wie kann die neue Flexibilisierung beteiligungsorientiert gestaltet werden? Wie kann mehr Vielfalt in den Arbeits- und Karriereentwürfen ermöglicht werden? Bei diesen Fragen stehe die Gesellschaft noch am Anfang, so Dr. Hofmann.

Werden Maschinen menschenähnlicher oder Menschen maschinenähnlicher?

Prof. Dr. Frank Dievernich, Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences

Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences


Die Rolle des Menschen in einer digitalisierten Welt treibt auch Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences, um. Er stellte die provokante Frage, ob es nicht nur so sein werde, dass Maschinen sich immer stärker den Menschen annähern. Vielmehr könnte es auch so sein, dass Menschen den Maschinen immer ähnlicher werden. „In jedem Fall muss gewährleistet sein, dass freie Entscheidungen weiterhin möglich sind!“, stellte Prof. Dievernich mit Blick auf Algorithmen klar, die dem Anwender nur einen eingeschränkten Ausschnitt der Wirklichkeit zeigen.
Dabei wolle auch die Hochschule helfen und ein Ort individueller Persönlichkeitsentwicklung sein. Wichtig sei eine umfassende Bildung und ein Umfeld, in der unternehmerische Ideen gedeihen können. Intuitives und interdisziplinäres Handeln sowie mehr Kreativität seien dafür die notwendigen Ansatzpunkte, so Prof. Dievernich.

Agil denken und handeln

Magdalena Münstermann, Prokuristin der Bernd Münstermann GmbH und Co. KG

Magdalena Münstermann, Prokuristin der Bernd Münstermann GmbH und Co. KG

Auch für Magdalena Münstermann, Prokuristin der Bernd Münstermann GmbH und Co. KG, gehen die in einer digitalisierten Welt benötigten Kompetenzen weit über klassische Kerncurricula hinaus. Ihrer Erfahrung nach werden zusätzliche mediale, soziale und emotionale Kompetenzen benötigt. „Agil denken und handeln“ sollte die Zielsetzung für Unternehmen und ihre Mitarbeiter sein, so die Unternehmerin.

Für Münstermann ist es wichtig, Mitarbeiter so zu befähigen und zu motivieren, dass sie aus eigenem Antrieb Themen voranbringen können und auch wollen. Dazu müssten die vorhandenen Kompetenzen der (potenziellen) Mitarbeiter genutzt werden – und hier falle der Blick bereits vermehrt auf Personen, die in der Vergangenheit noch nicht so sehr auf dem Radar der Unternehmen waren.


Megathema für die kommenden Jahre

Plenarsaal mit rund 400 Gästen

Plenarsaal mit rund 400 Gästen

Offenkundig wurde die Vielfalt an Aspekten, die die Themen Demografie und Digitalisierung aufwerfen: Werte und Technik sowie Gesellschaft und Wirtschaftswachstum sind einige der Pole, die es gilt, in Einklang zu bringen. Oder um es auf hessisch-englisch zu sagen: Bembel und Bytes.

Dass diese Aspekte das Demografienetzwerk und seine Akteure noch weiter beschäftigen werden, hat Prof. Müller bereits in seiner Eröffnung vorhergesehen: „Demografie und Digitalisierung sind Prozesse, die wohl niemals abgeschlossen sein werden. Es liegt an uns, sie zu gestalten. Insofern bin ich mir sicher, dass wir uns auch zu einem 7., 8. und 9. Demografiekongress hier in der IHK Frankfurt am Main treffen werden….“

Autor: Christian Weßling, IHK Frankfurt am Main

Maschinen können nicht denken

Dr. Josephine Hofmann, Prof. Dr. Mathias Müller, Magdalena Münstermann, Karl-Heinz Schulz, Prof. Dr. E.P. Frank Dievernich, Carsten Brzeski

v.l.n.r.: Dr. Josephine Hofmann, Prof. Dr. Mathias Müller, Magdalena Münstermann, Karl-Heinz Schulz, Prof. Dr. E.P. Frank Dievernich, Carsten Brzeski

Dass Maschinen nie werden denken können, davon ist zumindest der Bonner Philosoph Markus Gabriel überzeugt. Und ergo kann sich homo sapiens nicht abschaffen. Moderator Karl-Heinz Schulz, Mandelkern Marketing & Kommunikation GmbH, verwies aber auch auf skeptischere Stimmen aus so berufenen Mündern wie Bill Gates, Elon Musk und Stephen Hawking. Entsprechend froh war er, dass die RednerInnen und Diskutanten des 6. Frankfurter Demografiekongresses noch Menschen aus Fleisch und Blut waren und keine Chatbots oder Algorithmen.

Neben vielen interessanten Aspekten förderte die Diskussion auch eine fundamentale Gewissheit zutage: Das Thema wird uns nicht mehr loslassen, sondern in einer wachsenden Intensität beschäftigen – und ganz bestimmt auch auf dem 7. Frankfurter Demografiekongress am 28. März 2017.

 

Vortrag „Arbeit 4.0: Die Chancen nutzen!“ von Dr. Josephine Hofmann, Competence Center Business Performance Management am Fraunhofer-Institut

Nachbericht Forum 1: „Arbeit 4.0“
Nachbericht Forum 2: „Metropolregion“
Nachbericht Forum 3: „Willkommenskultur“

Bildergalerie 2016
Film Impressionen 2016

 


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