Nachbericht Forum 3 KMU: Vom wechselseitigen Lernen und Lehren

Wo die Lust ausbleibt, wird’s schwer mit dem Nachwuchs
Das Thema Nachwuchsmangel ist längst nicht vom Tisch. Doch eines wurde durch das Forum KMU klar: Nachwuchs- und Fachkräftesicherung muss gänzlich anders gedacht werden. Oder gefühlt.
Der Nachwuchs ist da. Er ist ausbildungswillig, interessiert und kontaktfreudig. Veranstaltungen wie der Goldfisch-Check®, der zum heiteren Ausklang des Forum KMU auf dem Demografiekongress durchgeführt wurde, dienen dazu, die Ausbildungsinteressierten Schülerinnen und Schüler mit Gleichgesinnten auf Unternehmensseite zusammenzubringen. So zum Beispiel mit Andreas Vick, Inhaber der Metzgerei und Feinkosteria Fleischeslust. Der einstige Unternehmensberater hat sich mit 38 Jahren ein Herz gefasst und entschieden, nur noch das zu tun, was ihm wirklich Spaß macht. Er gründete den Metzgereibetrieb, machte das Programm zum Namen (statt andersherum) und bewies in der Funktion des Marketingexperten in eigener Sache wahren Sinn für Sinnlichkeit. Heute zerlegt er fröhlich pfeifend Ökoschweinshälften aus der Nachbarschaft und schreibt nebenher seinen Hackblog. Oder wie er es womöglich nennen würde, seine digitale Wurstauslage. Er denkt das Handwerk neu. Eben zeitgemäß. Das Handwerk vereinte schon immer viele Fertigkeiten in einer Position, ganz gleich ob als Geschäftsleiter oder Lehrling. Jeder muss alles können: das Handwerk selbst beherrschen, unternehmerisch und kaufmännisch denken und auch Marketing betreiben. All diese Prozesse laufen heute zunehmend digital. Und deswegen gehören digitale Skills zu den Handwerksskills der Gegenwart – und der Zukunft.
Vicks Betrieb ist eine der letzten Neugründungen im Metzgereihandwerk, das Gewerbe stirbt aus – wegen sinkenden Bedarfs, nicht bedrohter Tierarten. Mit seiner passionierten Vorgehensweise erweckt Vick ein eigentlich totes Geschäftsfeld zu neuem Leben und ist mit seiner Unternehmensrezeptur unheimlich erfolgreich. Sein Rat, den er nicht nur seiner eigenen Tochter, sondern auch den SchülerInnen im Forum gibt: „Orientiert euch bei eurer Berufswahl nicht daran, was das große Geld verspricht oder wo der Markt boomt. Überlegt euch etwas, das euch wirklich hundertprozentig Spaß macht, etwas wo ihr mit Leidenschaft dabei seid. Dann habt ihr an keinem Tag das Gefühl wirklich zu arbeiten. Wenn ihr macht, was ihr liebt – egal was das ist – werdet ihr auch erfolgreich sein!“

Goldfischcheck mit der Heinrich-Kleyer-Schule, Helm-Holz-Schule, Liebig-Schule, Schiller-Schule, Ernst-Reuter-Schule 1 und Georg-Kerschensteiner-Schule

Goldfischcheck mit der Heinrich-Kleyer-Schule, Helm-Holz-Schule, Liebig-Schule, Schiller-Schule, Ernst-Reuter-Schule 1 und Georg-Kerschensteiner-Schule

Azubirecruiting im Elektrofach: Der Funke muss überspringen!
Die Liebe zum Beruf war nicht nur bei Metzgermeister Vick das zentrale Thema bei der Frage nach dem Nachwuchs. Auch Andreas Heinzelmann, Gründer und Geschäftsleiter der Firma Ehinger Elektro GmbH berichtete von einem jungen Mann, der seiner Jugendliebe seit 1982 treu ist. Sehr anschaulich und beinahe wie im Märchen berichtete er von seinem Werdegang bis zum heutigen Tag. Von der anfänglichen Naivität, dass nach der Lehre die lebenslange Betriebszugehörigkeit und Geradlinigkeit folge und von den ersten Gefühlen von Zugehörigkeit und Familienatmosphäre als Geselle.
Heinzelmann konnte mit seiner Geschichte veranschaulichen, dass ein Betrieb maßgeblich dadurch mit dem Zahn der Zeit mithalten kann, dass er Partnerschaften mit jungen Menschen eingeht, die mit viel Energie und Eifer nach Innovation streben. Sie bringen nicht nur aktuelles Wissen mit, sondern auch neue Perspektiven und Herangehensweisen. Er selbst wiederholt in seinem Betrieb das Geschenk, das ihm selbst zu seiner Zeit gegeben wurde: Kooperation und Dialog mit dem Nachwuchs. Dass dies zu gegenseitiger Wertschätzung und wechselseitigen Lerngewinnen führt, bestätigt auch Niklas Meyer, Auszubildender des Elektrobetriebs. Er selbst hat sich für die Lehre im Elektrofach entschieden, weil „alles mit Technik und Strom schon immer seine Augen zum Leuchten gebracht habe“, so der ehemalige Realschüler im Zwiegespräch am Bistrotisch. Dasselbe Leuchten suche auch er auch bei den SchülerInnen im Goldfisch-Check®, denn das sei das Erfolgsgeheimnis für eine gute und passende Ausbildung. Und er selbst habe seine Entscheidung nie bereut, auch seine Eltern sind der Meinung, dass er es nicht besser hätte treffen können. Während des Arbeitgeber-Speeddatings kam er in Kontakt mit einigen SchülerInnen. Er hoffe, dass durch die Gespräche das Interesse der Jugendlichen am Elektrofach geweckt würde und möglicherweise ein neuer Azubi gewonnen werden könne, die würden nämlich händeringend gebraucht.
Ein angehender Abiturient schwärmte davon, dass er nach der Schule gerne etwas Praktisches machen möchte – etwas, bei dem er mit den Händen arbeiten kann und am Ende des Tages das Resultat seiner Arbeit sehen könne. So etwas könne er sich mit einem reinen Hochschulstudium und anschließendem Bürojob einfach nicht vorstellen. Aber wo finde er sowas? Bei den Worten „Mechanik“, „Elektronik“ und “Anlagenbau“ konnte ein kleiner Funke in seinen Augen gefunden werden, also wurde er prompt an die beiden Vertreter des Elektrobetriebs weiterverwiesen. Dass die jungen Männer auf ihn zukamen, begrüßte Meyer. Dennoch beklagte er: „Wir finden es schade, dass so wenige Mädchen auf uns zukommen. Wir brauchen dringend mehr Frauen. Vor allem, weil der Beruf durch den hohen Dienstleistungsanteil sehr viel Kundenkontakt beinhaltet und Frauen darin einfach besser sind als Männer.“.
Das Erfolgsrezept für eine gute Zusammenarbeit: Neugier und Offenheit
Dass sich Frauen im Handwerk tatsächlich etablieren können, bewies Carolin Feucht vom Sanitärbetrieb Bruder+Feucht. Das Energiebündel wusste nach der Schule, wie so viele, überhaupt nicht was sie machen soll – die Optionenvielfalt war einfach zu groß. Also entschied sie sich für eine Ausbildung zur Betriebswirtin im Familienbetrieb. Für sie war es die richtige Entscheidung: Nirgends ist die Ausbildung so abwechslungsreich wie im Handwerk. Darüber hinaus sind die Unterstützung, die sie im Betrieb zur Bewältigung der Ausbildungsanforderung erhält und das eigene Einkommen, das sie zur lang ersehnten Unabhängigkeit vom Elternhaus befähigt, schwerwiegende Argumente für die Ausbildung und gegen ein Studium. Inzwischen bildet sie selbst aus, unter anderem Alexander Schenck, der zurzeit seinen Gesellenbrief bei Bruder+Feucht macht. Zusammen sprachen sie sich im Forum für die duale Ausbildung aus. „Die Verbindung von Theorie und Praxis in der dualen Ausbildung sind einfach einzigartig. Wer studiert, muss danach erstmal Praktika machen und Berufserfahrung sammeln. Wer aber dual ausgebildet wird, ist sofort einsatzfähig und kann gleich Geld verdienen.“ Nicht nur das: Nach der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung stehen alle Türen offen, auch die zur Uni. Carolin Feucht studiert neben dem Beruf zusätzlich Business Administration auf Bachelor an einer privaten Universität. Das Unternehmen unterstützt sie, das Studium wird als Investition in ihre Mitarbeiterin betrachtet. Bei Bruder+Feucht beträgt das Durchschnittsalter gerade 35 Jahre, der älteste der 18 Mitarbeitenden ist gerade mal 59. Damit ist das Unternehmen verhältnismäßig jung – und das mit Absicht. Die jungen MitarbeiterInnen werden hier als Innovationskraft geschätzt. Sie bringen den älteren MitarbeiterInnen bei, wie sie neue Medien in die Betriebsabläufe integrieren und helfen ihnen, mit der sich immer wieder verändernden Fachsoftware zurechtzukommen. Im Gegenzug lernen die jungen gezielt von den älteren und haben an deren Erfahrungen teil. Dafür wurde der Technikertag auf der Baustelle eingeführt: ein Tag, an dem die Jungen die Alten begleiten und sich zeigen lassen, wie sie das gelernte in der Praxis umsetzen können. Das Wechselspiel der Generationen sowie die konsequente Weiterbildung aller MitarbeiterInnen sind für das Unternehmen ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur und auch der wirtschaftlichen Absicherung, frei nach dem Credo: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Goldfischcheck mit der Heinrich-Kleyer-Schule, Helm-Holz-Schule, Liebig-Schule, Schiller-Schule, Ernst-Reuter-Schule 1 und Georg-Kerschensteiner-Schule

Goldfischcheck mit der Heinrich-Kleyer-Schule, Helm-Holz-Schule, Liebig-Schule, Schiller-Schule, Ernst-Reuter-Schule 1 und Georg-Kerschensteiner-Schule

Stadt Frankfurt am Main: Komplexes Ausbildungsangebot statt Alterskomplexe
Um das mit der Zeit gehen dreht es sich auch bei der Stadt Frankfurt am Main. Eingeführt wurde deren Vortrag mit der Frage „Was hat die Stadt eigentlich im Forum KMU zu suchen?“ durch Oliver Becker, Abteilungsleiter im Personal- und Organisationsamt. Die Abteilung koordiniert den gesamten Ausbildungsablauf, sowohl der dualen Ausbildung, als auch der zwei dualen Studiengänge in Public Administration. Im letzten Jahr bildete die Stadt rund 600 Nachwuchskräfte aus – 440 in den Verwaltungs-, kaufmännischen und IT-Berufen und 160 Auszubildende in mehr als 15 überwiegend handwerklichen Berufsbildern. Dabei ist die Lehre in drei Lernbereiche unterteilt: den theoretischen Teil in der Berufsschule, zentrale Ausbildungsmaßnahmen durch eigene Unterrichtseinheiten im Haus und die Praxisphasen. Diese finden allerdings nicht nur in den städtischen Ämtern statt, sondern die Auszubildenden machen ihre praktischen Erfahrungen mitunter in Betrieben der Region. Die Kooperation mit KMU und Handwerksbetrieben bietet nicht nur der Stadt die Möglichkeit des Informationsgewinns durch den betrieblichen Input, es ermöglicht auch den Auszubildenden Erfahrungen über die Welt der Stadtversorgung hinaus zu sammeln. Einen weiteren Vorteil haben die Auszubildenden der Stadt mit der gezielten Prüfungsvorbereitung durch das zentrale Bildungsprogramm, aber auch dadurch, dass sie feste AusbilderInnen haben, die ihnen als zuverlässige Ansprechpartner dienen.
Claudia Blumenthal hat die Stadt Frankfurt beim Kongress begleitet und berichtete im Zwiegespräch mit Lisa Wenzel, Ausbilderin im Bereich Verwaltung, von ihren Erfahrungen als Auszubildende. Der Clou: Blumenthal ist bereits ausgebildete und berufserfahrene Erzieherin und war mit über Vierzig auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Sie war unzufrieden mit ihrem erlernten Beruf und hatte die Chance ergriffen, einen neuen Beruf zu wählen, den sie auch noch bis zur Rente ausführen könne. Sie berichtete von Schwierigkeiten, trotz ihres Alters einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Auch der Umstand, dass sie bereits eine Ausbildung absolviert hatte, stellte ein Problem dar. Bis sie sich bei der Stadt meldete: Dort wurde sie gerade aufgrund ihrer Reife und ihrer bewussten Entscheidung herzlich empfangen. Das Durchschnittsalter der AusbilderInnen bei der Stadt liegt etwa bei dreißig Jahren. Damit war Blumenthal nicht nur deutlich älter als ihre AusbilderInnen und MitschülerInnen, sondern mitunter sogar älter als deren Eltern. Dennoch stellte sich bald heraus, dass der Altersunterschied mehr Vorteile barg als Nachteile – und das für beide Seiten. Die älteren im Ausbildungsverhältnis profitieren von der digitalen Kompetenz der jüngeren. Diese wiederum von den Erfahrungen der älteren. Und zwar unabhängig davon, wer lernt und wer lehrt. „Selbstverständlich ist ein Mehrgenerationenteam eine Herausforderung.“, erzählt Wenzel im Gespräch mit Ausbildungsleiter Jürgen Korn. „Die Bedürfnisse einer 16-Jährigen sind andere als die eines 40-jährigen Papas. Aber der gemeinsame Takt funktioniert. Auch wir als Ausbilderinnen und Ausbilder profitieren schließlich davon. Unsere ausbildenden MitarbeiterInnen wenden sich oft an die älteren Auszubildenden um Rat zu finden. Und sie lernen von den jüngeren, wie sie den Unterricht moderner gestalten können, indem sie digitale Lebenswelten integrieren.“ Auf die Frage, warum Betriebe auch ältere Azubis einstellen sollten, antwortete die fertige Azubine: „Sehr deutlich unterscheiden sich die Altersgruppen in der Berufsschule. Die meisten, die gerade von der Schule kommen, wollen eigentlich erstmal entspannen und haben null Bock. Ich bin mit einem klaren Ziel gekommen und hatte schon eine ganz andere Einstellung. Ältere gehen wohl motivierter und mit mehr System an die Ausbildung heran. Da zahlt sich auch vorangehende Berufserfahrung aus.“
Nachwuchs neu denken: Der Mensch im Mittelpunkt
Wohin also geht der Trend, wenn es um die Suche nach qualifiziertem Nachwuchs geht? Hört man auf die Praxisratschläge der referierenden Betriebe im Forum, stehen doch besonders die Menschen selbst mit ihren persönlichen Erfahrungen, Neigungen und Leidenschaften im Vordergrund. Weniger die harten Fakten, wie Alter, Geschlecht oder Leistungsnachweise. Insofern, als Berufswahl in unserer Gesellschaftsform immer deutlicher zu einem Ausdruck der Selbstverwirklichung wird, sollten auch rekrutierende Unternehmen mehr Wert darauf legen, ob die Chemie stimmt. Auch hier zählt: Vielfalt ist eine Bereicherung, insbesondere unter dem Einfluss des demografischen Wandels und der Digitalisierung. Hier ist Investitionswille und langfristige Entwicklungsbereitschaft gefragt. Sowohl in Bezug auf das eigene Unternehmen, als auch das eigene Personal. KMU und Handwerksbetriebe müssen sich ihrer individuellen Persönlichkeit bewusst sein um passenden Nachwuchs mit entsprechenden Wünschen und Kompetenzen zu finden und diese Gemeinsamkeiten auch kommunizieren zu können. Und das Erfolgsrezept für die Jugend? Eigentlich ganz einfach: Mach, was du willst. Hauptsache, du willst es wirklich.

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