Nachbericht Kompaktkongress Digitale Wirtschaft am 20.10.2016

Deutschland hängt in der digitalen Entwicklung 20 Jahre zurück

„Mit der Digitalisierung ist es wie mit der Physik: Man kann nicht für oder gegen die Schwerkraft sein.“ So pragmatisch die Begrüßungsworte durch IHK-Präsident Dr. Engelbert J. Günster, so anwendungsorientiert ist auch die Lösung der Mainzer Kammer: in Form eines eigenen „Digitalisierungslotsen“ nämlich, einem neuen Mitarbeiter, der KMU bei der digitalen Transformation berät. Und dass Beratung Not tut, zeigen die Zahlen. Gerade einmal 10.000 Euro geben deutsche Unternehmen für die digitale Wertschöpfung pro Jahr aus. Viel ist das nicht. Ist das Thema bei den Unternehmen noch immer nicht angekommen?

„Wir brauchen mehr Unternehmensbürger in den Betrieben, die sich untereinander vernetzen und neue Wege des Lernens und der Zusammenarbeit gehen“, sagte Rudolf Kast,Vorstandsvorsitzender des Demographie Netzwerks e.V. (ddn) in seiner Eröffnung.Und so stand der Mensch in der „Arbeitswelt 4.0“ im Zentrum des gleichnamigen bundesweiten Aktionstags. Auf insgesamt zehn parallelen Veranstaltungen, von der der Mainzer Kongress das Hauptevent darstellte, schärften die Referenten am 20. Oktober den Blick für die vielfältigen Chancen und Risiken der Digitalisierung. So sensibilisierte Kast dafür, die neuen technologischen Möglichkeiten in den Dienst von mehr betrieblicher Demokratie und Partizipation zu stellen.

Industrie 4.0 – wer hat’s erfunden?

Prof. Dr. Christoph Igel, DFKI Berlin

Prof. Dr. Christoph Igel, DFKI Berlin

„Wir!“ stellt Keynote-Speaker Prof. Dr. Christoph Igel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz gleich zu Beginn seiner Rede fest. Der Begriff fand nämlich in einer Publikation des DFKI seine erste Erwähnung – und wurde als Lehnwort mittlerweile ins Englische übernommen. Ende der Neunziger war das – und was ist seit der Geburtsstunde in Deutschland passiert? Viel zu wenig, meint Igel. Während man hierzulande gerne Studien erhebt, wird in Ländern wie China Geld in die Hand genommen und einfach gemacht! Mit der Konsequenz, dass deutsche Unternehmen und Hochschulen in Sachen Digitalisierung im Jahr 2005 stecken, Schulen sogar noch im Jahr 2000. Zum Vergleich: Die USA sind sieben Jahre weiter als wir. Die Frage lautet da, ob wir es überhaupt schaffen können, die versäumten Entwicklungen noch nachzuholen. Klare Antwort des Berliner Professors: „Nein! Konzentrieren Sie sich lieber auf die Zukunftsthemen und steigen Sie dort ein.“

In seiner Keynote, die den Titel „KMU digital – zwischen Industrie 4.0 und Qualifizierung 4.0“ trug, veranschaulichte Igel den State of the Art in Sachen Future Internet, Kommunikation autonomer Technik untereinander und Modelle des arbeitsplatzintegrierten Lernens. Zwei Trends lassen sich klar erkennen. Erstens: Das Mengenverhältnis von Computer zu Mensch dreht sich um. Hatten wir in den 1960er Jahren noch einen Großrechner für viele Menschen, folgte in den 80ern der – Personal – Computer, der PC für den einzelnen Menschen. Heute nutzt ein Besitzer mehrere Computer, die dazu auch fast alle in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind (Smart Phones, Smart Cards, Smart Home und was nicht noch alles smart ist). Bis zum Jahr 2030 könnten es schon 50 Mrd. Computer sein. So die konservative Schätzung. Die progressive geht von 500 Mrd. aus. Trend zwei: Dadurch verändert sich die Kommunikation. Cyberphysische Systeme kommunizieren untereinander, die Technik lotst den Mitarbeiter und junge Menschen erwarten mobile Bildungsangebote von ihrer (Hoch)schule. Oder ganz platt ausgedrückt: Was für sie auf YouTube nicht zu finden ist, gibt’s nicht.

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Schlussrunde mit Impulsgebern aus den Foren. V.l.n.r.: Thorsten Winternheimer, Rudolf Kast, Tobias Brosze, Karl-Heinz Schulz (Tagesmoderation) sowie Julia Schnitzler

Was heißt das nun für KMU, Bildungsanbieter und Politik? Für letztere auf jeden Fall einen Gang höher zu schalten. Während das politische Berlin gerade einmal die 4.0 angefangen hat, zu entdecken, sind die Forschungsinstitute schon längst bei der 5.0 angekommen. Sie sind de facto der ideale Wissenspartner für KMU, nicht die Universitäten. Damit gerade Lerninstitutionen aufholen können, braucht es die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen: „Das Kooperationsverbot muss fallen, damit technische Infrastruktur (BM Wanka) und Bildung zusammenkommen.“ fordert Igel.

Für Unternehmen gilt es, die richtige Strategie zu erarbeiten. Interessanterweise sind es aber oftmals gar nicht die Manager, die das Thema Digitalisierung treiben, sondern die Gewerkschaften. Sie haben den Menschen im Blick. Und damit auch die digitale Transformation, bei der sich manch einer fragt, wer hier eigentlich Koch und wer Kellner ist. Die Auflösung gibt es in einem der Foren ;-).

 

Michaela Sadewasser, Mandelkern Marketing & Kommunikation GmbH

Fotos: IHK Rheinhessen/Uwe Feuerbach

Vortrag  „KMU digital – Zwischen Industrie 4.0 und Qualifizierung 4.0″ Prof. Dr. Christoph Igel

Video-Impressionen
Fotogalerie
Nachbericht Forum 1: KMU 4.0
Nachbericht Forum 2: Breitband
Nachbericht Forum 3: Mensch