Nachbericht – Denkraum rot

9. Kongress des Demografienetzwerkes FrankfurtRheinMain „Denkraum Zukunft. Fachkräfte für morgen.“

 

Diversity als Antwort auf die Fachkräftefrage im digitalen Wandel

 

Moderation: Dr. Eva Voß (Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)
Impulsgeber:
Christoph Erbslöh (Bundesverband Berufsförderungswerke e.V.)
David Lucas (camalot media)
Christoph Zeckra (Generali – The Human Safety Net)
Annika Funke (Regionalverband Frankfurt Rhein Main)
Martina Schmeink (ddn – Das Demographie Netzwerk e.V.)

 

Miteinander reden, statt über einander, von- und miteinander lernen, sowie die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen.

So lautete die Quintessenz des Denkraum Rot, der ganz passend zu seiner Teilnehmermischung gleich zu Beginn von den Teilnehmern gemeinschaftlich in den vielversprechenden Titel „Denkraum Vielfalt“ umgetauft wurde, um allen Perspektiven im Team Raum zu gewähren. Vielfalt, die inspiriert.

Der Kongress stand in diesem Jahr fokussiert im Lichte – oder im Schatten (?) – der Digitalisierung. Ranga Yogeshwar veranschaulichte, wie sich unser Leben durch den technologischen Fortschritt und seine Auswirkungen fundamental verändert. Automatisierung, Internet, Globalisierung… im Grunde rücken wir alle etwas näher zusammen, zugleich wird die Form (etwa durch virtuelles Arbeiten) der Zusammenarbeit nicht zwingend persönlicher – da bleiben Reibungen nicht aus. bleibt es nicht aus, dass zwischen gewohnten und neuen Formen des Miteinanders Reibung entsteht.

Durch eine einleitende Kurzumfrage unter den Teilnehmenden im Denkraum, wer denn Linkshänder sei, wurde zunächst verdeutlicht, dass Heterogenität nicht „die anderen sind“, weil jeder auf verschiedene Weise vielfältig ist: sei es Geschlecht, Herkunft, Bildung, Alter, Sprache usw. – niemand ist gleich. Allerdings setzen die Mehrheiten die Spielregeln bzw. werden zur Norm. Hier Menschen nicht bewusst auszuschließen oder Hürden aufzubauen, ist Ziel eines konzertierten Diversity Managements. So war es auch Wunsch im Denkraum, sich von Best Practices zum Thema Fachkräftemangel im digitalen Wandelauszutauschen.

 

Diversity als Handlungslogik

 

„Wir verkaufen nur in einer stabilen Gesellschaft“, erklärte Christoph Zeckra (Generali Deutschland AG). Zeckra unterstützt das VielRespektZentrum Essen, das Unternehmen zum konstruktiven und auch erlössteigernden Umgang mit Diversität berät. https://www.vielrespektzentrum.de/ „Deshalb können wir uns nicht nur auf das Unternehmen konzentrieren. Diversity heißt für uns, dass wir Diversität als Handlungslogik verstehen.“ Viele Großunternehmen setzen heterogene Arbeitsgruppen gezielt ein und sind dadurch sehr erfolgreich. Bei ihnen wird der Fokus nicht auf die Unterschiede und Schwierigkeiten gelegt, sondern auf Gemeinsamkeiten und die Vorteile von Unterschiedlichkeit. Es gehe um ein gegenseitiges Verstehen und Verstandenwerden. Barrieren – wie beispielsweise in der Sprache – könnten mit einfachen Mitteln überwunden werden, wenn der Wille da sei, so Zeckra weiter.

Das Altersthema sei noch lange nicht geklärt, ergänzte Martina Schmeink von Das Demographie-Netzwerk e.V. (ddn). Digital brauche Jung, sei der Aberglaube. Aber auch die älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst seien verunsichert, ob sie mit den Jungen noch mithalten könnten und noch gebraucht würden. Noch immer liege im Denken sowohl von Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern zu sehr der Fokus auf „Leistungsschwäche“ statt „Leistungsdiversität“. Das Stigma laute, die Jungen sprinten voran, die Alten kommen nicht mit. Vielmehr sei es aber so, dass die Älteren einen enormen Erfahrungsschatz hätten und auch in Stresssituationen ruhig blieben und lösungskompetent seien, während die Jungen dafür Wege kennen, die Lösungen schnell und effizient umzusetzen. In Unternehmen zähle es daher, Dialoge zu erschaffen, die es ermöglichen, auch die Abkürzungen zu kennen, statt „nur“ Speed zu haben. Erfolg sei dann nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftstauglich: Wir müssen unseren Fokus von Problem auf Potenzial verschieben

Oft steigt die Motivation, wenn die Not einsetzt – sei es personell oder finanziell. Ein Beispiel lieferte Christoph Erbslöh vom Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e. V. Die Bildungswerke sehen sich zunehmend konfrontiert mit einer steigenden Anzahl von Arbeitnehmern, die infolge von Krankheiten und drohender Erwerbsunfähigkeit zur beruflichen Rehabilitation in die Werke kommen. Unternehmen nehmen die Angebote des Werks gern in Anspruch: Durch die Rehabilitation ist oft eine Rückkehr in die Unternehmen möglich, sonst droht ein Wechsel des Berufs und oft auch des Arbeitgebers – mit weit höheren Folgekosten für Human Resources. Jedoch ist das Angebot der beruflichen Rehabilitation oder Integration oft nicht bekannt. Vermittler zwischen Unternehmen und den Berufsförderungswerken fehlen.

Plattformen wie ddn schließen diese Lücke: Sie stehen den Unternehmen zur Seite um Möglichkeiten zu finden, wie sie im Erkrankungsfall den Defizitfokus („Was kann mein Arbeitnehmer nicht mehr?“) umkehren können in einen Kompetenzfokus („Was kann mein Arbeitnehmer noch und wo kann ich ihn dadurch stattdessen einsetzen, statt ihn zu verlieren?“). Das Netzwerk aus Unternehmen unterstützt andere Unternehmen mit Expertise zum Beispiel aus dem Bereich der Präventionsarbeit zur Vorbeugung von Erkrankungen. Bei diesem fruchtbaren Austausch, so Schmeink weiter, sei die aktive Partizipation der Unternehmen unabdingbar, insbesondere die der Personalabteilungen.

 

Wir müssen den Mehrwert von Vielfalt erkennen und nutzen

 

Annika Funke vom Regionalverband FrankfurtRheinMain berichtet, dass besonders niedrigqualifizierte, internationale Fachkräfte mehr Beratung benötigen. Besonders KMU und Handwerksbetriebe, die grundsätzlich ein großes Potenzial haben, auf diesen Fachkräftepool zuzugreifen, sind vom Leidensdruck „Fachkräftemangel“ betroffen. Leider fehle es ihnen oft an den benötigten Ressourcen, um Diversity Strategien zu entwickeln und anzuwenden. Beide Parteien gälte es, einander anzunähern und zwischen ihnen zu vermitteln. Besonders die Sprachbarriere stellten oft ein Hindernis dar, um Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen, auch wenn die fachlichen Qualifikationen vorhanden seien. Spanische Unternehmen machen es vor: So wurde im Denkraum von Werkstätten berichtet, die alle Werkzeuge bilingual beschrifteten um somit die Sprachvermittlung spielerisch in den Berufsalltag einzubauen. Ein win-win-Effekt: nicht nur die Neuankömmlinge lernen die Landessprache, sondern die beheimateten Mitarbeiter lernen ganz nebenher auch noch eine Fremdsprache.

Das wechselseitige Lernen, hier an Sprache festgemacht, ist nur ein exemplarischer Mehrwert von Vielfalt, der in vielen Unternehmen noch zu sehr unterschätzt wird. Miteinander reden, voneinander lernen, Perspektivwechsel und kreative Ideen zur Nutzung bestehender Potenziale seien Gold wert und eine entsprechende Einstellung steigere, bei Mitarbeitern wie auch Führungskräften, die Motivation zur Potenzialentwicklung. Das sei so wie bei Geschwistern, so Marion Kopmann von der Silberrücken GmbH, die sich ein Vorbild am anderen nähmen. Derjenige, der langsam ist, könne die Schnelligkeit des anderen ja auch als Ansporn nehmen, besser zu werden.

 

Wir müssen investieren

 

Alles sei eine Frage des Verständnisses eines Unternehmens für gesellschaftliche Entwicklungen, berichtete Zeckra. „Wir fördern aus wirtschaftlichen und humanitären Gründen. Wir bauen Menschen auf, sie gründen und wir können wiederum die Startups in unseren Konzern integrieren. Wir konvertieren also soziale Themen in wirtschaftlichen Gewinn. Deshalb erzeugen wir hierdurch „shared value“ statt nur CSR Botschaften“. Bildung, so auch die Stimmen aus dem Handwerk und KMU innerhalb des Denkraums, sei noch immer die zentrale Antwort auf die Fragen rund um Fachkräftemangel. Die Betriebe sind bereit, für die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte zu investieren. Allerdings fehlen die Interessenten. Zu unattraktiv erscheint der Bildungsweg in der dualen Ausbildung. Studieren, Managementposition, wenigstens erstmal versuchen – so sei die Grundeinstellung an vielen weiterführenden Schulen.

Einleuchtend fand das auch Frau Kopmann, denn Menschen handeln ökonomisch. „Je mehr Bildung, desto höher meine Assets. Je mehr ich in meine Zukunft investiere, desto höher ist meine Verhandlungsposition“. Deswegen strebten junge Menschen heute die höchstmögliche Bildungsstufe an. Die persönliche Leidenschaft und intrinsische Motivation spielt dabei weniger eine Rolle, als der antizipierte persönliche Nutzen, etwa wirtschaftlicher Erfolg oder hohes soziales Prestige. 15% Schulabgänger, die eine Ausbildung starten heißt nicht, dass sich nur 15% für eine interessieren. Es heißt lediglich, dass bei 15% eine entsprechende Entscheidungsfindung erfolgte. Was uns also zentral beschäftigen sollte ist, welche Bilder vermittelt werden, die diese Entscheidungen beeinflussen. Welches Image von der Ausbildung und Handwerksberufen wird vermittelt und internalisiert? Und stimmt das überhaupt noch – und wie lange? Wie bereitet sich das Handwerk auf den digitalen Wandel vor?

 

Wir müssen gestalten

 

Einer der Teilnehmer berichtete, dass Unternehmen im Handwerk auf einen großen Pool von qualifizierten Ausbildungskandidaten nicht zurückgriffen. Die Inklusion körperlich oder psychisch beeinträchtigter Menschen wird trotz des Fachkräftemangels noch zu wenig eingesetzt. Es gibt viele Einrichtungen wie etwa das Berufsbildungswerk, die beeinträchtigte Personen gezielt auf einen beruflichen Einsatz ausbilden. Weiterbildungs- und Beratungsangebote zur Förderung der Inklusion sind verfügbar, allein sie werden nicht in Anspruch genommen. Es fehle eben an Brücken am Übergang von der Ausbildung in den Beruf, so der Konsens im Denkraum. Unternehmen müssten investieren, z.B. durch den Einsatz gezielt geschulter Coaches im Unternehmen selbst, die Mitarbeiter mit Handycap betreuen und das Unternehmen entlang der Bedarfe zur Inklusion weiterentwickeln. Für Unternehmen bis zu 250 Mitarbeiten stünden sogar Fördermittel der Initiative Unternehmenswert Mensch zur Verfügung, die KMU und Handwerksbetrieben die Anpassung an die Anforderungen der Digitalisierung erleichtern können. „Wir müssen gestalten“, ergänzt Martina Schmeink den Gedanken zur inklusions- und integrationsfähigen Unternehmensentwicklung. „Was brauchen Sie in Ihrem Unternehmen? Und folgen Sie nicht blind irgendwelchen Trends. Fragen Sie lieber Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die wissen, was fehlt. Bilden Sie Tandems“, fährt sie fort, „und integrieren Sie ein reziprokes Coaching.“.

 

Wir müssen lernen, Potenziale zu entfalten

 

Schließlich meldete sich auch die jüngste Teilnehmerin im Denkraum zu Wort: „Alle haben Hoffnung in die Jugend“, höre sie immer wieder.

Möglicherweise verpasst das Handwerk an vielen Stellen Chancen durch das Festhalten an alten Denkmustern. Damit schließt sich der Kreis des Denkraums: „Wir müssen raus aus den Organisationen und rein in die Schulen. Wir müssen miteinander reden. Wir müssen Berufe, vor allem MINT- und Technikberufe erlebbar machen.“, sagte eine der Teilnehmerinnen zusammenfassend als Rat an Handwerk und Technikunternehmen, die besonders unter Nachwuchs- und Nachfolgemangel leiden. „Wir müssen uns selbst neu erfinden und offen werden. Nicht bloß neue Ausbildungskonzepte definieren und uns rein den technischen Anforderungen anpassen. Wir müssen auch lernen, Potenziale zu entfalten. Wir müssen unseren Fokus auf Lern- und Entwicklungskompetenz legen, nicht auf Noten und Geschlechter. Und wir müssen es jetzt tun. Denn Fachkräftemangel tut heute weh.“

 

 

 

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