Nachbericht – Denkraum gelb

9. Kongress des Demografienetzwerkes FrankfurtRheinMain „Denkraum Zukunft. Fachkräfte für morgen.“

 

Technik braucht gutes Denken und Kultur

 

In der Podiumsdiskussion herrschte schnell Einmütigkeit darüber, dass in Deutschland die Herausforderungen der Digitalisierung sehr viel mehr debattiert werden müssten. Der Leiter Personal der AOK Hessen, Karlheinz Löw, betonte, dass die technologische Transformation mit der Führungskultur in den Unternehmen mitgehen und die Belegschaften mitnehmen müsse. Technik könne zwar vieles, aber ohne Kultur, Empathie und soziale Werte bewege sich in der Arbeit 4.0. nichts. „Es geht heute nicht nur um eine Veränderung der Prozesse wie früher. Heute ist vielmehr die Kultur die Frage; denn die Technik entwickelt sich schneller als die Kultur. Löw weiter: „Für unsere digitale Zukunft bis 2025 haben wir eine Strategie, und dafür haben wir die dahinterliegenden Strukturen und Prozesse angelegt. Wir haben Handlungsprogramme aufgelegt, um ganz bewusst das Thema Führungskultur und Unternehmenskultur mitzunehmen und eben nicht nur zu sagen: Wir führen die Technik ein. Denn die Technik alleine macht gar nichts. Die Menschen müssen das wollen und die Führungskräfte müssen das zulassen.“ Um dieses Projekt zu bewerkstelligen nutzt Löw, wie er erläuterte, das „magische Dreieck“ aus Strategie, Struktur und Kultur“. Die Digitalisierung und der damit einhergehende technologischen Fortschritt erfordere Mut und einen neuen Führungsstil. Die neue Führungskraft müsse „mehr Coach, weniger Dirigent“ sein, so Karlheinz Löw. Oliver Schmitz von der berufundfamilie Service GmbH gab hierbei zu bedenken, dass „die Generation Z einen Kümmerer und Führung möchte.“

 

Digitalisierung: Entwicklungsland Deutschland

 

Auch darüber, wie auf die Digitale Transformation geblickt werden solle, waren sich die Fishbowl-Teilnehmer in einem Zitat von Keynote Speaker Ranga Yogeshwar schnell einig: nämlich mit „gesundem Menschenverstand und unaufgeregt.“ Löw von der AOK Hessen betonte, dass man nicht im Endzeitmodus über die Transformation sprechen solle. Man könne die Digitalisierung durchaus auch für die Chancengleichheit nutzen. Wie bei jeder Transformation entstehe immer etwas Neues. „Wir polarisieren beim Thema Digitalisierung. Bei Neuem tun sich die Deutschen schwer. Man sehe sich hingegen die Investitionen der chinesischen Konkurrenz in die Digitalisierung an.“ Dies wollte Dr. Cornelia Seitz vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft so nicht stehen lassen. „Wir sind in Deutschland nicht nur abgehängt. Insbesondere in den Branchen Chemie und Automobilindustrie sind wir Vorreiter und da läuft das. Die Innovationen passieren hier in den Betrieben.“ Oliver Schmitz von der berufundfamilie Service GmbH ergänzte: „Wir klappern nur nicht so laut wie ein Tesla.“ Selbst wenn in Deutschland so laut wie im Silicon Valley geklappert würde, würde es Deutschland beim Meistern der digitalen Transformation nicht viel helfen, so die Meinung der meisten Diskutanten. Ein Teilnehmer erläuterte konkret: „Zum einen werden in Deutschland lediglich 3 Mrd. Euro pro Jahr in KI (Künstliche Intelligenz) investiert im Gegensatz zu den 150 Mrd. Euro pro Jahr in China. Und die Schulen sind hier nicht vorbereitet auf KI. Ich sehe auch nicht, dass Deutschland in der Automobilindustrie führend ist. Wir sind digitalisierungsmäßig in Deutschland Entwicklungsland.“ Ähnlich pessimistisch äußerte sich auch diese Stimme:„ In zehn Jahren bricht in Deutschland mit den Leuten, die in Rente gehen, die Führungsrolle weg. Es gibt auch keine Lehrer, die neue Technologie, KI etc. unterrichten könnten.“

 

Personalpolitik – Mut zur Fehlerkultur

 

Die Personalverantwortliche eines Limburger Bauunternehmens gab zu bedenken: „ Wir machen hier einen ganz großen Fehler, dass wir mit der Digitalisierung nicht in den Schulen anfangen. Wir reden über die Digitalisierung von Meisterbetrieben, sollten aber vielmehr in den Schulen ansetzen. Denn die jungen Leute sind auf die Digitalisierung gar nicht vorbereitet.“ Viele Unternehmen passen sich bereits an die bestehende Lage an. So hat beispielsweise auch die AOK Hessen das Auswahlverfahren vor zwei Jahren komplett verändert. Der Personalleiter Karlheinz Löw erklärte, dass er bei den Bewerbungen nicht mehr nur nach den Noten gehe, da man Schulen und Noten heute kaum noch vergleichen könne. Stattdessen nehme er nun Auszubildende, die vor allem soziales Verständnis und Lernbereitschaft mitbrächten sowie im Team arbeiten wollten. Das notwendige Wissen, das sie vielleicht schon aus der Schule hätten mitbringen müssen, bringe man ihnen dann im Unternehmen bei. „Das bedeutet allerdings nicht, dass man das Problem in der Gesellschaft nicht adressieren muss. Man darf aber nicht nur warten bis die Politik aktiv wird, sondern sollte auch selbst versuchen etwas zu gestalten, Neues zuzulassen und zu probieren sowie den Mut für eine Fehlerkultur aufbringen“, so Löw weiter.

Aber was passiert mit den Unternehmen, die sich ein Experimentieren und eine Fehlerkultur nicht leisten können, fragte die Personalverantwortliche eines mittelständischen Betriebes und ergänzte: „Das können große Unternehmen leichter umsetzen, auch der Mittelstand kann es sich bedingt erlauben, Schulabgänger mit lauter Fünfen im Zeugnis wegen ihrer Motivation einzustellen. Aber was machen denn kleine Unternehmen, die nur zehn Mitarbeiter haben? Die haben auch motivierte junge Leute, und die bleiben auf der Strecke. Deshalb ist es notwendig, mit Veränderungen in den Kindergärten und in den Schulen anzufangen. Es braucht einen Vortrag, der die Gesellschaft aufrüttelt.“

 

Wir brauchen eine innovative Debatte

 

Auf die Frage, wie unsere Zukunft vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der Digitalisierung gelingen kann, resümierte Oliver Schmitz von der berufundfamilie Service GmbH, dass man sehen müsse, dass Technik in all ihrer Bandbreite auf uns zukäme, darunter auch die der Gesichtserkennung. Wenn wir diese nicht entwickelten, entwickle sie ein anderer. Die Frage sei hier also, wie die Technik eingesetzt werde und wir mit ihr umgehen. Am erfolgsversprechenden sei es, dies in kollektiver Verantwortung zu tun. Dr. Cornelia Seitz vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft sieht die Verantwortung der Zukunftsgestaltung nicht so sehr bei den viel erwähnten Jüngeren, sondern vielmehr bei der jetzigen Generation. „Denn wir haben zugeschaut und zugelassen, dass die Schulen immer schlimmer wurden und dies mit unseren eigenen Kindern erlebt. Unsere Generation ist gefragt, um noch stärker für die Chancengleichheit einzutreten, die ja ganz lange diskutiert wurde. Wir sind noch sehr zurückhaltend, was die öffentliche Meinung und die Forderungen anbetrifft“. Eines stand nach dieser Diskussion fest: die Herausforderungen, die auf uns zukommen sind mit technologischen Innovationen alleine nicht zu bewältigen. Es braucht vielmehr eine Debatte, die fragt, wie wir den Wandel so gestalten können, dass er die Chancengleichheit erhöht. Erst dann führen wir eine wirklich innovative Debatte.

 

 

 

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