Frank Schomburg: „Wir brauchen dringend einen neuen Diskurs über unser Bild von Arbeit“

Porträtfoto_Frank Schomburg_web10 Fragen an Frank Schomburg, Keynote-Speaker auf dem 8. Demografiekongress am 22.03.2018 in Frankfurt. Er ist Mitbegründer und Gesellschafter der nextpractice GmbH.

Herr Schomburg, Sie haben mit einem Verfahren, das Sie zusammen mit dem Psychologen Prof. Dr. Peter Kruse entwickelt haben, sieben Wertewelten der Arbeit gefunden. Heißt das, es gibt nicht DAS Idealbild der Arbeit mit allgemeingültigen Wertvorstellungen, das für alle Beschäftigten gilt?
Schomburg: Das eine Idealbild der Arbeit gibt es in der Tat nicht. Da hat es natürlich schon immer große Unterschiede gegeben. Denken Sie nur an den populären Scherz: Manche arbeiten, um zu leben, andere leben, um zu arbeiten. Diese Haltungen verkörpern auch tatsächlich zwei der sieben Typen, die wir identifiziert haben. Aber das Spektrum ist eben weiter gefächert.

Nämlich?
Wir haben auch die Menschen, die in ihrer Arbeit vor allem das Erlebnis einer Solidargemeinschaft suchen. Die findet man z.B. in der Gruppenarbeit der Automobilfertigung. Wir haben die Menschen, die an sich den Anspruch ständiger Höchstleistungen haben und die Herausforderungen der Digitalisierung als einen zusätzlichen Adrenalinschub erleben. Und wir haben, um noch einen Typus herauszugreifen, die Menschen, die kritisch auf die Gesamtentwicklung schauen. Sie fragen z.B., ob nur Erwerbsarbeit Arbeit ist oder ob wir den Begriff nicht viel weiter fassen müssen.

Wie heterogen sind denn diese Gruppen? Oder anders gefragt: Warum sind diese Unterscheidungen so wichtig?
Wir haben diese Typologie ja entwickelt im Rahmen einer Untersuchung, die wir für das Bundesarbeitsministerium durchgeführt haben, und zwar im Kontext des Weißbuchs Arbeit 4.0. Dazu hatten wir 1000 Beschäftigte in einem repräsentativen Querschnitt über alle Alters- und Berufsgruppen quantitativ und qualitativ befragt. Und die Ergebnisse haben wir noch einmal überprüft mit zwei Kontrollgruppen, und zwar 100 jungen Menschen, die noch nicht arbeiten und hundert, die nicht oder nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt sind. Und die Ergebnisse haben uns wirklich frappiert.

Was war so dramatisch an Ihren Ergebnissen?
Nun ja, nicht nur sind die Haltungen zur Arbeit streckenweise extrem verschieden. Noch problematischer ist, dass das einigende Band, das die verschiedenen Gruppen zusammenhält, immer mehr gespannt ist, ja, zu zerreißen droht.

Wer oder was reißt denn an dem einigenden Band der Arbeit?
Um es mal ganz groß zu rahmen: Wir haben uns von der Idee eines kollektiven Wirs zu einer Ich-Gesellschaft entwickelt. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung mag man dem durchaus was abgewinnen können, denn die neuen Techniken unterstützen ja diesen Megatrend der Individualisierung. Aber viele Beschäftigte wünschen sich eben auch noch den Zusammenhalt.

Und diesen Unterschied können wir nicht aushalten?
Im Prinzip schon. Wir müssten nur darüber reden. Da liegt aber das Problem. Die Menschen aus den verschiedenen Wertewelten der Arbeit haben sich kaum noch etwas zu erzählen. Jede Gruppe hält ihren Standpunkt für richtig und die anderen für falsch. Gerade angesichts der gewaltigen Umwälzungen, welche die Digitalisierung bringen wird und schon bringt, brauchen wir aber ganz dringend einen Diskurs. Zum Beispiel über die Frage: Ist alles, was machbar ist, auch sinnvoll?

Wenn der Blick auf die Arbeit so verschieden ausfallen kann, wie sieht es denn dann mit den verschiedenen Generationen aus? Hat der Blick auf die Arbeit auch mit dem Alter zu tun?
Das ist vielleicht die gute Nachricht. Wir konnten so gut wie keine Altersmuster finden. Klar sind die Jüngeren im Allgemeinen etwas experimentierfreudiger, die Älteren etwas vorsichtiger. Aber das jugendliche Ungestüm muss nicht immer nur gut sein. Da tut ein besonnener Blick von erfahrenen Kollegen oft gut.

Was heißt denn das konkret für die digitale Transformation?
Nun, wir sehen in der ddn-Umfrage „Generationenbilder und Digitalisierung“, dass viele ältere Beschäftigte sich nicht gut gerüstet für die digitalen Herausforderungen sehen. Aber das Spannende ist: Sie wollen es werden, sie wollen lernen. Und das ist eine große Chance für die Unternehmen, die ja mit alternden Belegschaften innovativ bleiben müssen. Sie müssen alle mitnehmen und nicht nur auf die Jungen setzen.

Sehen Sie die Gefahr eines neuen Jugendwahns?
Absolut. Wir beobachten sehr verbreitet die Tendenz zu sagen: Wir müssen in der Digitalisierung mithalten, wir müssen junge Leute rein holen. Und dann geht es schief. Die innovativen Jungen gehen, und die Alten sind verprellt. Was ist passiert? Solche Unternehmen haben nicht verstanden, dass auch digitale Innovationen keine Altersfragen, sondern Kulturfragen sind.  Wer bei dem großen Wandel mithalten will, muss einen Kulturwandel schaffen.

Kulturwandel – ein großes Wort.
Ja, aber selten war es so wichtig und richtig wie heute. Die digitale Transformation bietet ja auch große Chancen. Wenn wir es schaffen, alle Altersgruppen mitzunehmen, dann können wir ein neues, modernes Wir schaffen. Im Moment aber, und das macht mir ernste Sorgen, geht der Zug eher in die andere Richtung, zu einer immer massiveren Polarisierung nach dem Motto: Bist du auch ein Agilist? Wir müssen dringend zum Gespräch zwischen den verschiedenen Gruppen und Lagern zurückfinden. Wir brauchen den Diskurs. Deswegen finde ich Ihren Kongress so wertvoll.

Lieber Herr Schomburg, vielen Dank für das Gespräch!